Wechselnde Pfade – Schatten und Licht
von Maria Kolek Braun, Kontemplationslehrerin und Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof
Vor knapp zwei Monaten erreichte den Benediktushof die Nachricht vom schrecklichen Unfalltod unserer langjährigen Kollegin Lissi Höfling und ihres Mannes. Das tägliche Leben war wie eingefroren, gedämpft. Tiefe Betroffenheit, Nicht-Verstehen und großer Schmerz lösen und verändern sich erst langsam. Es tut gut, diesem Schmerz und der Trauer immer wieder Raum zu geben, weil sie jetzt Realität sind – etwa durch ein Trauerbuch oder ein Foto mit einer Kerze an verschiedenen Plätzen am Hof. Und immer wieder im Austausch, denn Trauern braucht Zeit und ist nicht mit der Beisetzung beendet. Zugleich geht das Leben weiter, ganz sprichwörtlich – und das stimmt zutiefst.
Das Leben lebt sich immer im Jetzt. In der Fülle des Augenblicks ist nie nur der empfundene Verlust, die Leerstelle da, vielmehr offenbart sich die Fülle des Augenblicks in der Gleichzeitigkeit von Trauer und Sonne, von Schmerz und dem Gefühl von Zusammengehörigkeit und Kraft. Nicht als Gegensätze, sondern als verschiedene Facetten des Lebens. Wenn wir uns in jedem Augenblick dem hingeben, was jetzt ist, bedeutet das nicht Respektlosigkeit gegenüber den Toten, sondern die Bereitschaft loszulassen; die Bereitschaft, die Trauer sich verwandeln zu lassen.
Wenn etwas ganz anders geschieht als von uns geplant und gewünscht, spüren wir Schmerz oder Angst, denn die vermeintliche Sicherheit geht verloren. Zugleich erinnern solche Ereignisse uns daran: Wir haben das Leben nie in der Hand. Jeder Moment ist ein Risiko. Vermeintliche Sicherheiten sind Illusion und Wunschdenken.
„Denn Offenheit bedeutet, sich vor allen Dingen dem Unbekannten und dem für uns unakzeptablen Teil der Wirklichkeit zuzuwenden.“
(Richard Stiegler)
Den Schmerz leben, die Trauer zulassen und leben, ja, sogar der Schmerz, die Lücke sein: Das ist ein „Großes Ja“ zu dem, was jetzt ist. Das Einverständnis, alles zu leben.
Wie oft bestimmen unsere Konzepte über das Leben, wie das Leben zu sein hätte, und wir halten fest an unseren Vorstellungen über das Leben. Das Schöne, Freudvolle, Angenehme halten wir fest und wünschen es uns zurück.
Vor dem Verlust eines Menschen, vor schwerer Krankheit, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben wir Angst, weil die Unverfügbarkeit des Lebens so unmittelbar spürbar wird. Für die Schmerzen, das Dunkle haben wir in der Regel keinen Verhaltensplan.
Wir können uns nur darauf einlassen, ohne den nächsten Schritt zu kennen und im reinen Vertrauen darauf, dass es etwas gibt, was uns hält und trägt.
Oft wollen wir verstehen, warum etwas geschehen ist und meinen, dass es dann leichter wird, etwas Leidvolles anzunehmen. Aber es gibt keine Antwort auf diese Frage. Das Leben vollzieht sich ohne unsere Zustimmung und ohne eine Erklärung. Wir können uns dem Leben hingeben und einschwingen oder wir wollen uns schützen, verdrängen und werden dabei hart bis in die Körperhaltung hinein.
Das Leid, das Dunkle macht uns unausweichlich und unerbittlich klar, dass nicht das Ich das Leben steuert, sondern etwas anderes in den Fokus rückt: Das Leben selbst.
Das ist Spiritualität: aufhören, zu verdrängen und sich der Wirklichkeit stellen, ihr nicht ausweichen, sondern dem Leben vertrauen: „Wechselnde Pfade – Schatten und Licht; alles ist Gnade, fürchte dich nicht.“
Maria Kolek Braun