„Vielfalt ist etwas, das wir feiern sollten“

Von 17. bis 20. August 2023 findet am Benediktushof die Tagung „Strahlendes Licht – (Zen)Frauen unterwegs“ statt. Im Gespräch erklären drei (Zen)Frauen, warum sie sich Zen-Praktizierende aller Geschlechter bei der Veranstaltung wünschen.

Eines wird in unserem Gespräch schnell klar: Wenn von weiblichen Qualitäten im Zen die Rede ist, geht es vor allem um den Blick auf Vielfalt, auf Mut und den Blick auf die eigenen Stärken. Diese Qualitäten werden auch bei der Tagung „Strahlendes Licht – Zen-Frauen unterwegs. Frauen im Zen-Buddhismus – früher und heute“ zum Tragen kommen, die von 17. bis 20. August 2023 am Benediktushof stattfindet. Leiterinnen der Tagung sind Zen-Meisterin Linda Myoki Lehrhaupt Roshi und Susanne Jushin Dittrich. Die Vorträge und Arbeitsgruppen werden ergänzend von Zen-Frauen – Meisterinnen und Lehrerinnen – gehalten.

Zen-Tagung

Dabei richtet sich die Tagung an alle Zen-Praktizierenden, wie Linda Lehrhaupt betont: „Ich sehe diese Konferenz als eine Feier des Beitrags von Frauen zur Zen-Praxis. Bis vor Kurzem war dieser in der Öffentlichkeit nicht so präsent. Der weibliche Beitrag in Bezug auf Methode, Praxis, Beziehung und Gemeinschaft ist die Zukunft der Zen-Praxis im Westen.  Daran glaube ich fest und ich hoffe, dass Menschen aller Geschlechter neugierig sind, mit uns dies zu erkunden.“

Im Gespräch – gemeinsam mit Zen-Meisterin Doris Myõen Zölls Roshi, die bei der Tagung über „Die Essenz des Zen im Prozess der kulturellen Wandlungen“ referieren wird – beschreiben die Tagungsleiterinnen eben diesen weiblichen Beitrag zur Zen-Praxis, das Erbe der Ahninnen und – als Brücke in die Zukunft – das Öffnen für neue Ausdrucksweisen in der Praxis. Das Gespräch führte Barbara Simon.

Die Veranstaltung „(Zen-)Frauen unterwegs“ richtet den Fokus auf die Frauen im Zen – sowohl in der Tradition als auch in der Gegenwart: Wie weiblich oder männlich ist Zen heute? Und wie drückt sich das in der Praxis aus?

Doris Zölls: Zen selbst ist weder weiblich noch männlich. Zen ist Bewusstheit. Es steht jedem offen – unabhängig vom Geschlecht, denn sie ist die wahre Natur allen Seins. Frauen wurden und werden durch ihre Rolle und ihre Aufgaben sehr gefordert, diese Bewusstheit zu entfalten. Sie hatten jedoch auf Grund der patriarchalen Strukturen aller Gesellschaften und vor allem in den Religionen nur sehr selten die Möglichkeit, die Übung der bewussten Haltung in der Rolle des Lehrens weiterzugeben oder auch die intellektuelle Ausbildung zu bekommen.

Linda Lehrhaupt: Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Wie weiblich oder männlich Zen auf einer alltäglichen Ebene ist, unterscheidet sich von Land zu Land, von der Form oder der Art des Zen, ob klösterlich oder Laien-Zen und weiteren Faktoren. Dass diese Frage gestellt werden muss, ist an sich schon aufschlussreich: Viele, die heute Zen praktizieren, sind immer noch stark von einer Tradition beeinflusst, die weitgehend von Männern und männlichen Werten bestimmt wurde. Sowohl Männer, Frauen als auch Menschen mit verschiedenen Geschlechtsidentifikationen sind sich in vielen Fällen nicht bewusst, wie tief diese maskuline Identifikation geht. Sowohl im Westen als auch im Osten gilt: Nur weil eine Lehrerin eine Frau ist, heißt das nicht, dass weibliche Werte vermittelt werden, genauso wenig heißt es, dass ein Mann keine weiblichen Werte vermitteln kann. Die Tendenz geht jedoch dahin, sich an den Geschlechtergrenzen zu orientieren.

„Die (Zen)Frauen haben nicht darauf gewartet, dass sich die Dinge ändern, sondern sind vorangegangen.“

Wo und wie zeigen sich die Unterschiede?

Linda Lehrhaupt: Die Unterschiede zeigen sich an verschiedenen Parametern: Wie ist beispielsweise die soziale Organisation einer Gemeinschaft ausgerichtet, horizontal oder vertikal? Wie wird Autorität definiert und in der Zen-Praxis gehandhabt? Ist sie dem Erwachen aller Wesen gewidmet oder verkappter Egoismus? Wie wird eine ernsthafte Zen-Praxis definiert? Nach weiblichem Verständnis wird die Praxis im Alltag als Zen-Praxis angesehen und nicht als etwas weniger wertvolles oder gar Ersatz. Darüber hinaus betonen die weiblichen Werte die Verkörperung: Der Körper – egal welchen Geschlechts – ist Ausdruck des Lebens und Essenz des Zen.

Doris Zölls: Jeder Mensch hat beide Seiten, Yin und Yang, beziehungsweise weiblich und männlich in sich. Je nachdem, welche Seite stärker ist, wird er/sie lehren. Da Frauen in der Regel gesellschaftlich gezwungen waren, sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern, und diese Aufgaben ein hohes Maß an Flexibilität, Wachheit, Hingabe und vielem mehr erfordern, kann es sein, dass sich dies heute beim Lehren von Frauen zum Positiven auswirkt. Männer hatten dagegen in der Geschichte meist die Aufgabe, sich im Krieg oder auf der Jagd zu bewähren. Die Fähigkeiten, die dort gebraucht wurden, sind unweigerlich in die Übung mit eingeflossen und verengten sie oftmals. Es braucht viel Wachheit, die Übung der Bewusstheit nicht zu verwechseln mit scheinbar notwendigen, kriegerischen Haltungen.

Inwiefern werden weibliche und männliche Aspekte im Programm der Tagung berücksichtigt?

Susanne Dittrich:  Wir lassen bei der Tagung weibliche, erfahrene Zen-Übende zu Wort kommen. Sie zeigen sich mit ihren Gedanken, mit ihren Praxisansätzen und ihren spezifischen Interessen. Schwerpunkt ist das Thema „Frau im Zen/Buddhismus“, aber es gibt auch Raum für anderes. Es erscheint uns wichtig, dass wir ein selbstverständliches Bild und Wissen dazu entwickeln, dass Frauen auch im Zen, wie natürlich sonst im Buddhismus, eigenständig und mit gleichem Gewicht präsent sind. Natürlich soll das für alle Geschlechtsidentitäten gelten.

Linda Lehrhaupt: Auf der Konferenz werden die Referentinnen diese Themen jeweils aus ihrer eigenen Perspektive behandeln. Ich glaube, das wird sehr bereichernd sein, gerade auch weil die Perspektiven unterschiedlich sind. Und das ist gut und notwendig. Vielfalt ist etwas, das wir feiern sollten.

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Doris Zölls: Die Workshops und auch die Vorträge sind von Frauen besetzt. Ich hoffe sehr, dass es vor allem darum geht herauszuarbeiten, welche Übungen wichtig sind, Bewusstsein zu entfalten – unabhängig vom Geschlecht.

Textsammlungen wie das „Verborgene Licht“ lassen vermuten, dass es über die Jahrhunderte auch viele bedeutende – aber weniger sichtbare – Frauen im Zen gab. Was können wir von unseren Zen-Ahninnen lernen?

Doris Zölls: Die Zen-Ahninnen sind ein wunderbares Vorbild, seinem inneren Drang zu folgen und sich nicht durch gesellschaftliche Vorbehalte zurückhalten zu lassen

Linda Lehrhaupt: Hier gäbe es so viel zu sagen, ich versuche es, in der Kürze auf einige Aspekte zu bündeln: Die weiblichen Vorfahren haben viel Widerstandskraft bewiesen, um in Kulturen zu praktizieren, die weibliche Praktizierende nicht unterstützt haben. Sie haben nicht darauf gewartet, dass sich die Dinge ändern, sondern sind vorangegangen. Um unabhängig praktizieren zu können, gründeten sie Gemeinschaften. Es ging ihnen darum, ihr Praxis stabil und beständig zu halten, weniger um Ruhm oder Positionen. Und sie waren in keiner Weise unterwürfig. Vielmehr wählten sie sehr genau aus, welche Kämpfe sie ausfechten wollten.

Was machte ihre Lehre aus und warum blieben sie so oft im Verborgenen? Oder scheint uns das nur durch die männlich betonte Überlieferung und Literatur so?

Doris Zölls: Die gesellschaftlichen Strukturen haben es Frauen nicht ermöglicht, sich zu zeigen. Frauen mussten, wenn sie sich ganz der Übung widmen wollten, außerhalb der Gesellschaft als Nonnen oder als Einsiedlerinnen leben und waren immer mit Ablehnung konfrontiert. Bildung wurde ihnen meist versagt und sie hatten kein Forum, wo sie sich zeigen hätten können. In der Begleitung anderer Frauen konnten sie oft wirken, doch da auch diese im Hintergrund standen, traten sie auch dort nicht in der Öffentlichkeit auf. So wurden sie auch nicht in der Literatur erwähnt und wenn, dann bekamen sie männliche Namen.

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Bei der Tagung wird in der Gruppe mit Zen-Geschichten gearbeitet, eine Ergänzung zur traditionellen Koan-Arbeit zwischen Schüler*in und Meister*in. In den USA ist die Form der „Kreisarbeit“ in der Zen-Praxis sehr gängig, anders als in Europa…

Susanne Dittrich: In den USA, und auch in Europa – beispielsweise Deutschland oder die Niederlande -, ist die Koanarbeit in Gruppen in manchen Zen-Gemeinschaften, den Sanghas, etabliert, in anderen wiederum nicht. Soweit mein persönlicher Eindruck. Bekannt wurde die Gruppenarbeit an Koans  – man kann sie auch „Zen-Weisheitsgeschichten“ nennen – vor allem über den amerikanischen Zen-Meister John Tarrant, der seit vielen Jahren die sogenannte „Koan-Salons“ anbietet. Insgesamt hat die Praxis mit Koans auch andere neue Impulse erfahren, es gibt beispielsweise zeitgenössische „Alltagskoans“, also neue Koans, die Situationen aus unserem heutigen Lebensalltag nutzen. Die Gruppen-Koanarbeit wird in den jeweiligen Sanghas zusätzlich zur traditionellen Koan-Schulung angeboten. In meinem Referat werde ich einige Beispiele vorstellen.

Wie läuft die Arbeit in der Gruppe ab und wie unterscheidet es sich von der traditionellen Koan-Schulung?

Susanne Dittrich: Hier möchte ich vor allem von dem in der Zen-Herz-Sangha praktiziertem Verständnis sprechen, wobei es große Ähnlichkeiten mit anderen Sanghas gibt. Die Gruppen-Koanarbeit ist eine Weise, die in der Begegnung eher horizontal als vertikal-hierarchisch ist. Es gibt nicht die „richtige“ Präsentation oder Verkörperung. Im Vordergrund steht mehr die Vielfalt, ohne dass es völlig willkürlich ist. Der Ausdruck „Kreisgespräch“ passt sehr gut, wobei es weniger ein „Gespräch“ ist, als vielmehr ein Miteinander-Sein, Entdecken, Staunen, Bereichern und Wachsen. Die Gruppenarbeit geht davon aus, dass die Weisheit schon da ist – bei jeder Person – und dass durch diesen offenen, sehr vertrauensvollen Prozess ein günstiges Feld für individuelle Entwicklung entsteht. Die Leiterin ist Teil der Gruppe, gleichzeitig hält sie den Rahmen. In meinem Konzept gebe ich auch regelmäßig einen Dharma-Input, ein „Mini-Teisho“. Und es werden Haikus zu den Koans gedichtet. Während der Tagung werde ich es auch anhand von Beispielen erklären. Außerdem besteht die Möglichkeit, in begrenztem Umfang selbst diese Koan-Gruppenarbeit auszuprobieren.

Doris Zölls: Die Koanarbeit in der Rinzai-Linie findet zwischen Meister*in und Schüler*in statt. Es geht um die Präsentation des Erwachens in Bezug auf das Koan. In der Kreisarbeit nehmen mehrere teil und jede*r trägt seine Einsicht zum Koan vor.

Wie können diese Formen, also die klassische Koan-Arbeit und die Kreisarbeit, die Praxis unterstützen?

Doris Zölls: Die Wirklichkeit zeigt sich unserem Intellekt als Dualität. Ein Subjekt steht einem Objekt gegenüber. Die Wirklichkeit jedoch ist Eine. Dies zu erkennen, dafür benutzt die Rinzai Linie das Koan. Es ist ein Mittel, den Intellekt zu übersteigen. In ihm liegt eine Paradoxie, die nicht durch die Vernunft, aber auch kein Bauchgefühl erfasst werden  kann. Durch die Konzentration auf ein Koan, die Verstand oder Gefühl übersteigt, verdichtet sich die Trennung von Subjekt und Objekt und so kann uns das Koan  aus dem Verstand buchstäblich reißen, so dass die Einheit erkannt wird und die Dualität überstiegen.


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