Und nun …?
von Dagmar Buxbaum, Zen-Lehrerin der Linie „Leere Wolke“ (Willigis Jäger)
Ihr kennt das sicherlich alle. Wir melden uns an einem Zen-Sesshin an – vielleicht auch das erste Mal und freuen uns darauf, auf diese schöne Zeit, schon lange vorher. Wir freuen uns auf die Ruhe, auf die „Auszeit“, auf die Zeit für uns. Dann kommen wir an, haben unseren Meditationsplatz, den wir uns einrichten. Unseren Essensplatz, unseren Schlafplatz. Neben uns sitzen täglich die gleichen Menschen. Vertrautheit.
Dann beginnen die Meditationsrunden – Stille – der Gong – der Geruch der Räucherstäbchen – Stille – Schmerzen – Stille – Freude – das leise Rascheln einer Bewegung – Gedanken, Gefühle – Stille – ein Hüsteln irgendwo – der Gong – Geh-Meditation – das Aufeinanderschlagen der Hölzer – die nächste Runde.
Und so sitzen wir jeden Tag – mit uns, mit der Gruppe. Wir fühlen uns wohl, aufgehoben, geschützt, getragen, umfangen – zwischen den Gongschlägen, dem Ablauf des Tages, im Rhythmus des Sesshins.
Wir können uns ganz und gar auf uns einlassen – mit allem, was uns ausmacht, unseren Gefühlen, Gedanken, Verletzungen… getragen in einer äußeren Ruhe und Stille, vielleicht auch von einer inneren Stille.
Und dann kommt der letzte Tag. Wir sitzen am Tisch, das Schweigen wird aufgehoben und schlagartig wird es laut. Stimmengewirr um uns herum, das Klappern von Geschirr, irgendwo ein Lachen. Laut. Stühle werden geschoben, irgendwo fällt etwas runter. Mein Gegenüber spricht mich an, will wissen, mit wem er da die ganze Zeit zusammen gegessen hat, möchte erfahren, wer ich bin…..
Dann geht man zum Auto, packt alles wieder ein, geht vielleicht noch in den Buchladen.. überall Gespräche, Lebendigkeit – von Stille keine Spur.
Und nun?
Was ist Zen?
Genau dies.
Genau dies ist Zen.
Alltag.
Lebendigkeit.
Lärm.
Fröhlichkeit.
Hektik.
All dies ist es auch.
Zen ist die Übung der Gegenwärtigkeit. Die Übung, wirklich immer dabei zu sein, wo immer wir gerade sind, was wir gerade tun. Auf dem Kissen ist es das Sitzen, der Atem. Im Alltag ist es genau das, was gerade geschieht.
Dieser Augenblick, dieser Moment, dies – immer nur dies.
In Achtsamkeit, mit uns – mit anderen.
Das bedeutet, wenn wir das Sesshin verlassen, sollten wir in der Übung bleiben, achtsam und sorgsam mit uns umzugehen. Achtsam und sorgsam mit anderen umzugehen, in jedem Augenblick. Was wiederum bedeutet, dass wir uns auch zurücknehmen, um dem Anderen Raum zu geben, den Anderen wahrzunehmen.
Zen ist nicht nur eine sitzende Meditation und nicht nur Geh- Meditation.
Das ganze Leben ist Meditation, das ganze Leben ist Zen. Jede Geste, jedes Lächeln, jede Träne, jeder Konflikt, jedes Gespräch, unsere Familie, unsere Sorgen, unsere Freude. Alles ist Zen.
Wir dürfen nicht dem irrtümlichen Gedanken Glauben schenken, dass wir nur im gegenwärtigen Augenblick sind, wenn er sich schön anfühlt; dass wir nur im Hierundjetzt sind, wenn es sich sogenannt „richtig“ anfühlt.
Nein.
Gegenwärtigkeit ist auch Schmerz, Krankheit, Ablehnung, Angst, im Scheitern, wie im Verlust.
Das ganze Leben ist Zen, ist Alltag – Dein Alltag.
Und mitten darin zum Stehen zu kommen. Sich nicht davon wegtragen zu lassen. Bei sich zu bleiben. Das ist die Übung. Jeden Moment. Jeden Tag.
Das bedeutet: Es gibt kein vor der Meditation, kein nach der Meditation. Kein hier übe ich Zen und da ist Alltag. Keine zwei.
Alles ist Zen. Alles findet im gegenwärtigen Augenblick statt.
„Laufen ist auch Zen.
Sitzen ist auch Zen.
Mag man reden oder schweigen,
sich bewegen oder ruhen,
der Körper bleibt stets in Frieden.„
(Shodoka)
Unser Alltag kann nicht parallel irgendwo stattfinden – sondern immer nur hier, immer wieder hier, immer wieder frisch, immer wieder neu…. Die Frage ist nur: Wo bin ich immer, wo sind wir immer?
Dazu eine kleine Geschichte:
„Zwei Mönche sitzen auf einer Bank in Bayern vor ihrem Kloster und halten Brotzeit. Sie kauen so vor sich hin, als der eine sagt: „Hast Du ghört, was der Abt heit gsagt hat?“
Pause. „Na, was denn?“
Stille. „Ja, Gott is überoi….“
Pause.
Dann der andere Mönch: „Ja, wo bin i dann immer…?“
Und du? Wo bist Du, gerade jetzt, in diesem Augenblick? In diesem Moment?
Autorengespräch
Der Austausch und die Reflexion zu spirituellen Themen ist eine hilfreiche Ergänzung zur eigenen Praxis. Das Autorengespräch mit Dagmar Buxbaum findet am 22.03. um 19:30 Uhr statt – online & kostenfrei via Zoom.
Dagmar Buxbaum ist Heilpraktikerin, seit 2006 in eigener Praxis, Entspannungspädagogin, Zen-Lehrerin der Linie „Leere Wolke“ (Willigis Jäger), seit 35 Jahren Zen-Praxis, leitet Zen-Gruppen in Meckenheim bei Bonn. www.seelenfroh.de