Suchen und gefunden werden

von Marianne Leverenz, Lehrerin der Zen-Linie „Leere Wolke“

„Wer sucht, findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden.

Franz Kafka

„Was ich hier für mein Leben suche, weiß ich eigentlich gar nicht so genau. Ich habe einfach diesen Kurs gebucht, das hatte ich schon lange vor, und jetzt bin ich hier“, erzählte eine Kursteilnehmerin.

Manchmal machen wir uns auf die spirituelle Suche ohne genau zu wissen, was wir suchen. Oft aber haben wir ganz bestimmte Bilder im Kopf und bringen gewisse Erwartungen mit. Wir wünschen uns neue Impulse, möchten Menschen auf dem Weg begegnen, die uns weiterbringen oder begleiten können.

Wir erhoffen tiefe berührende Erfahrungen oder suchen Ruhe und Frieden in unserem sonst unruhigen Leben. Oder wir möchten nach der langen Corona-Zeit wieder gemeinsam mit anderen die Energie der Stille spüren.

In unserem Alltag leben wir oft mit der Haltung, dass wir unser Leben und unsere Aufgaben bewältigen müssen. Vorhaben wollen umgesetzt, Ziele wollen erreicht werden. Wir meinen, das Leben planen und an bestimmten Vorstellungen festhalten zu können.

Diese Haltung bestimmt dann oft auch unser Suchen. Wir verbinden unser inneres Suchen mit ganz konkreten Zielen und Vorstellungen; wollen etwas Richtiges und Perfektes erreichen. Wir suchen ein „Mehr“, weil wir meinen, dass das Bisherige nicht genug sei und wir uns und das ganze Leben verbessern müssten.

„Das Sitzen in der Stille verändert unser Suchen.

Aus dem aktiven Suchen nach der Erfüllung unserer Bedürfnisse und Wünsche wird ein Entdecken und Annehmen. Lassen wir unsere Vorstellungen los, können wir offen werden für die Gegenwart, wach sein für das, was jetzt da ist und geschieht, für das Leben, wie es sich jetzt gerade zeigt.

Dann können wir erleben, dass aus dem Finden auch ein „Gefunden werden“ wird. Denn wo wir uns, unser Suchen, unsere Vorstellungen und Ziele loslassen, finden nicht wir das Leben, sondern das Leben findet uns.

Im Alltag zeigt sich dies zum Beispiel daran, dass wir viele Entscheidungen gar nicht mit dem Verstand erzwingen können, soviel Denken und Energie wir auch einsetzen. Vielmehr finden sie ihren Weg aus unserem Inneren heraus; sie kommen uns entgegen. Und sind wir offen für das Leben, können sie uns finden. So sind schon viele Ideen und Entscheidungen unter der Dusche oder beim Spaziergang gekommen und haben uns gefunden.

Aus Gesprächen mit Paaren, die in der Krise sind und in die Beratung kommen, weiß ich, dass die meisten schon selber vieles versucht haben: den Anderen zu verändern, sich selbst auch ein bisschen, andere Umstände zu schaffen. Und auch Anleitungen aus dem Internet zu einer besseren Kommunikation haben ihre Problematik nicht gelöst. Es ist zwar ein wichtiger Schritt, wenn die Partner loslassen können, was am anderen ärgert und stört und wie sie den anderen haben möchten.

Das Geheimnis wirksamer Veränderung aber ist, dass wieder ein tiefes gegenseitiges Erkennen und Mitgefühl wächst, dass die Partner sich vom anderen wieder neu in ihren Herzen berühren lassen, vom Leben, wie es sich im anderen ausdrückt. So können sie erfahren, sich neu zu finden und voneinander gefunden zu werden.

Und auch wenn ich auf der Suche nach mir selbst bin, geht es nicht darum mich selbst zu erfinden oder mich selbst zu optimieren. Nein, ich muss nicht auf der Suche nach etwas anderem oder nach mehr sein.

Ich bin immer schon mit dem Leben verbunden.

Denn das Leben hat mich immer schon gefunden.


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