Staunen und Neugierde, was das Leben ist

Auf ihrem jahrzehntelangen spirituellen Weg schlägt Zen-Meisterin Paula Weber ab diesem Herbst einen neuen Weg ein und beendet ihre Kurstätigkeit am Hof. Im Gespräch teilt sie ihren Schatz an Erfahrungen und Erinnerungen und beschreibt, in welcher Rolle sie den Benediktushof in der Gegenwart und Zukunft sieht.

Es ist ein wunderbar sonniger und milder Herbsttag, an dem ich mich mit Paula Weber zum Gespräch auf der Terrasse der Buchhandlung treffe. Ihre Augen, ihr Gesicht strahlen. Hinter ihr liegt eine bewegende Woche: Gerade hat sie ihr letztes Sesshin hier am Benediktushof gegeben. Als langjährige Wegbegleiterin von Willigis Jäger kennt sie den Benediktushof seit der ersten Stunde im Jahr 2003.

„Jedes Gehen ein Kommen“ titelt Zen-Meisterin Paula Weber zum Abschied auch ihren aktuellen Impulsvortrag für den Benediktushof und verarbeitet darin, ihre aktuellen Erfahrungen mit Übergängen im Leben: In ihrem neuen Lebensabschnitt werden sowohl die Enkel als auch weiterhin das Zen eine tragende Rolle spielen. Auch dem Benediktushof wird sie als Mitglied im Leitungsteam der Zen-Linie „Leere Wolke“ erhalten bleiben. Im Gespräch blickt sie auf ihre spirituellen Wurzeln und ihren gemeinsamen Weg mit Willigis zurück. Dabei prägt im Gespräch vor allem eines ihre Antworten: das Gefühl der Dankbarkeit und Fülle.

Das Interview führte Barbara Simon.

Gerade ist Dein letztes Sesshin am Benediktushof zu Ende gegangen: Mit welchem Gefühl bist Du durch- und rausgegangen?

Paula Weber: Im Augenblick bin ich sehr berührt und spüre eine große Dankbarkeit. Über die Menschen, denen ich in den vielen Jahren begegnen und die ich auf ihrem Lebensweg begleiten durfte und darf. Aus jedem Schicksal lerne ich auch etwas über mich und das Leben. Ich bin Willigis dankbar, dass er mich an diesen Ort gestellt hat. Diese Dankbarkeit hat auch dieses letzte Sesshin geprägt, es hatte eine ganz besondere Atmosphäre. Und ich genieße gerade diese Phase des Übergangs. Es sind vor allem Staunen und Neugierde, die diesen Abschied prägen: Staunen und Neugierde, was das Leben ist und was geschehen kann und mag.

Verabschiedung Paula

Welche Impulse waren für Dich ausschlaggebend, Deine Prioritäten neu zu setzen?

Paula Weber: Die Entscheidung war ein langer Prozess, ein Zulassen, mich einer inneren Entwicklungsnotwendigkeit zu stellen. Es war also keine Entscheidung für etwas Neues, sondern vielmehr dafür, mich dem auszusetzen, was jetzt entsteht. Ein Impuls dafür war sicherlich die Sangha an meinem Heimatort in Tübingen, die seit über 20 Jahren zu einer stabilen Weggemeinschaft gewachsen ist und weiterwächst. Es ist eine große Freude, die Zazen-Praxis vor Ort gemeinsam zu vertiefen, Impulse für das Miteinander zu setzen und als kontinuierliche Begleitung im Alltag präsent zu sein. Das fordert mich immer wieder neu.

Und das Leben bringt immer neue Aufgabenfelder: Enkelkinder vor Ort begleiten zu dürfen, ist ein einmaliges, wunderbares Geschenk und eine Aufgabe, die ich gerne annehme. Auch darin gilt es, sich ständig Veränderungen zu stellen. Kraft und Zeit fordert auch mein Engagement im Leitungsteam der Zen-Linie „Leere Wolke“ – ich freue mich über die große Aufgabe, das Zen in die Zukunft zu begleiten. Und schließlich ist das Abenteuer des Älter-Werdens auch in den Blick zu nehmen, der nächste Schritt ins Unbekannte.

Der Zen-Weg ist ein lebenslanger Weg: Wie geht es als Zen-Praktizierende und Zen-Meisterin für Dich weiter?

Paula Weber: Meine Zenpraxis ist von meinem Alltag nicht mehr zu trennen. Das tagtägliche Praktizieren hier mit anderen Menschen ist ein Geschenk. Die Begleitung in ihrer Übung vor Ort, auch die Koan-Begleitung, ist eine große Unterstützung für meinen eigenen Weg. Und die Leitung der Zen-Linie beinhaltet ein ständiges Forschen, Vertiefen und Wach-bleiben.

„Beim Vortrag von Pater Lassalle war für mich klar: Dieses bildlose, konsequente Schauen, das ist es!“

Du stammst aus einer sehr katholisch geprägten Region Bayerns. Welchen Einfluss haben diese Wurzeln auf Dich?

Paula Weber: Meine katholische Sozialisation in einer dörflichen Gemeinschaft erlebe ich als Glück. Das große Vertrauen in eine Kraft, die über das menschlich Machbare hinaus geht, war gestaltet durch viele Rituale: der tägliche Kirchgang vor der Schule, Gebete vor jedem Essen und vor dem Schlafen gehen, auf der Kniebank unter der Marienstatue. Maiandachten, die sogenannten Engelämter im Advent, das samstägliche Rosenkranztreffen und die Festgestaltungen haben mein Gefühlsleben geformt und haben mich geprägt. Das „Auge Gottes“ wurde für mich neben der gewissensbildenden Funktion vor allem ein Gesehen-Sein, wie ein Vertrauen, dass ich nicht „verloren“ gehen kann. Heute würde ich vielleicht sagen: Ich bin, weil ich „gesehen“ bin. Zudem war meine Mutter eine sehr kluge Frau, die die Menschlichkeit der kirchlichen Strukturen gut durchschaute. Sie lehrte mich, beharrlich zu hinterfragen und in die Tiefe zu gehen.

Als wir nach München zogen, hatte ich wieder Glück. Es war die große Aufbruchszeit des 2. Vatikanischen Konzils Ende der 1960er-Jahre. Die Klosterschule der Maria-Ward-Schwestern war sehr progressiv und bot in Zusammenarbeit mit den Jesuiten jährlich Exerzitien an, an denen ich mit Hingabe teilnahm. „Der Meister in Dir“ von Pater Beda Naneder und die negative Theologie von Josef Sudbrack trafen auf ein bereitetes Feld in mir. Mein Engagement in der katholischen Jugendarbeit und der marianischen Kongregation waren weitere Impulsgeber.

Wie kamst Du mit Zen in Berührung?

Paula Weber: Durch mein Engagement in der Jugendarbeit kam ich früh mit den Schriften von Teilhard de Chardin und C. G. Jung sowie der Arbeit von Graf Dürckheim in Berührung. Schon im ersten Semester meines Sozialpädagogik-Studiums begeisterte mich unsere Dozentin Dr. Barbara Wachinger für Martin Buber und eine Kommilitonin gab mir Schriften von Lama Anagarika zu lesen.

Als Pater Lassalle in der katholischen Akademie einen Vortrag über seine Erfahrungen in Japan hielt, war für mich klar: dieses bildlose, konsequente Schauen, das ist es! Mit 19 Jahren besuchte ich das erste Sesshin bei Bernhard Scherer SJ und war längere Zeit seine Schülerin. Nach meiner psychotherapeutischen Ausbildung ging ich in das Zentrum von Karlfried Graf Dürckheim und Maria Hippius. Dort nahm ich an Sesshins von Seki Roshi und seinen Mitarbeitern aus Japan teil. Dabei wurde mir klar, dass ich zu einer weiteren Begleitung die deutsche Sprache brauchte. So lernte ich Sylvia Ostertag und ihre Arbeit kennen. Sie gab mir schließlich die Information, dass Willigis zurück aus Japan war und Sesshins anbot. 1983 wurde ich seine Schülerin. Jetzt konnte ich mich sanft begleitet ganz in dieses große Abenteuer stürzen.

Benediktushof BGaus (56)

Du warst viele Jahre Wegbegleiterin von Willigis und bist seit langem u.a. am Benediktushof spirituell beheimatet: Was verbindest Du mit Willigis und dem Benediktushof?

Paula Weber: Eingeprägt hat sich mir sein unentwegter Satz: „Ihr habt die Spur gefunden, bleibt dabei!“ Ein zweiter, für mich zentraler Satz von ihm ist: „Ein spiritueller Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg!“ Darin zeichnet sich für mich seine Haltung aus: Der Zen-Weg ist immer ein alltäglicher Vollzug. Ganz Mensch werden. Ich bin ihm sehr dankbar für seine Herausforderungen genauso wie für die große Unterstützung, Förderung und für sein Vertrauen in mich. Auch deshalb war es mir auch möglich, mich als Lehrerin und Zen-Meisterin zur Verfügung zu stellen.

Was ist Dir von ihm als Mensch besonders in Erinnerung geblieben? 

Paula Weber: Mit Willigis verbinde ich vor allem seine große Menschenliebe, besonders auch seine Offenheit für Kinder und ihre Lebendigkeit. Er hat mich – und viele andere – in all unseren biografischen Durch- und Übergängen begleitet, Taufe, Hochzeit, Beerdigungen. Ich habe ihn als sehr nahbar erlebt. Und auch lebensnah: So hat er beispielsweise Paare immer sehr unterstützt, gemeinsam den Zen-Weg zu gehen. Mein Mann selbst war kein Zen-Praktizierender. Doch Willigis begegnete ihm mit so großem Wohlwollen, dass es ihm gelang meinen Weg weitherzig mitzutragen. So konnten wir diese große Herausforderung, auch die meiner häufigen Abwesenheit durch die Sesshins, meistern.

Zwei Begebenheiten beschreiben Willigis‘ Wesen in besondere Weise für mich: Bei seinem jährlichen Besuch bei uns zu Hause saß er mit meinem 18-jährigen Sohn am Tisch, der voller Stolz sein erstes Piercing an der Augenbraue trug. Willigis schaute ihn in aller Unvoreingenommenheit an und fragte: „Jetzt sag mir mal: Wie fühlt sich denn das an?“ Mein Sohn fühlte sich endlich ohne (erzieherische) Vorbehalte gesehen und sprudelte in aller Offenheit drauf los. Ein anderes Mal kam ich zur Koan-Arbeit extra nach Holzkirchen. Ich saß insgesamt vier Stunden dafür im Auto. Ich kam an und Willigis war nicht da. Er sei weggefahren hieß es. Ich wartete. Nach seiner Rückkehr stellte Willigis total erstaunt fest: „Ich habe Dich vergessen!“ Ohne Schnörkel, ohne Ausreden. Mit diesem einfachen Tatbestand kam in mir gar kein Kränkungsimpuls auf. Es war wie ein staunendes Einvernehmen, verbunden in diesem „So ist es“. Es war keine Wertung nötig. Willigis hat sich zugemutet.

Was bedeutet für Dich der Benediktushof?

Paula Weber: Erstmal eine große Dankbarkeit, dass wir dort nach St. Benedikt wieder einen Ort gefunden haben, an dem unsere Zen-Praxis einen Platz bekommen hat. Dankbarkeit dafür, dass sich Menschen zur Verfügung gestellt haben, dieses Unternehmen zu leiten. Freude darüber, dass Willigis sich darauf eingelassen hat, uns dort weiter zu begleiten. Und es ist auch ein Staunen: Darüber, wie viele Menschen kamen, angezogen wurden von dem Wirken. Ich staune über die Schönheit und die Lebendigkeit, die sich ausbreitete. Und ich verbinde mit dem Hof eine große Freude über viele wertvolle Begegnungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Aktuell empfinde ich auch eine besondere Achtung, wie offen sich der Hof und die Menschen der Dynamik unserer Zeit stellen.

 

Die Herausforderungen unserer Zeit – welche Rolle kann hier der Benediktushof einnehmen?

Paula Weber: Der Benediktushof ist für mich ein Beispiel dafür, dass Spiritualität säkular gelebt, genährt und begleitet wird. Das ist zukunftsweisend. Ich wünsche mir weiterhin innovative Symposien, die inspirieren, Offenheit signalisieren und Vernetzungen möglich machen. Das Zugehen auf junge Menschen, die alle immer mehr auf der Suche sind, braucht vor allem Menschen, die ihnen Mut machen, dabei zu bleiben. Menschen, die sie darin unterstützen, sich nicht in der Vielfalt zu verlieren, sondern sich bedingungslos auf einen Weg einzulassen. Ich hoffe sehr, dass dabei deutlich wird, dass der Weg der Stille Schutzraum braucht, damit der Weg nach Innen erfahrbar ist.

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Das ist in unserer Gesellschaft eine große Herausforderung. Experimentieren mit Anleitungen für ein respektvolles Miteinander und für gemeinschaftsbildende Erfahrungen werden immer nötiger. Und schließlich hoffe ich sehr, dass der Benediktushof weiterhin ein Ort bleiben wird, an dem sich westliche und östliche Weisheiten und Wege mit Achtung begegnen können. Auch ein Ort, wo Integration erfahrbar ist. An dem die Ahnung, dass wir eine Welt sind, Form finden kann.

Der Benediktushof versteht sich auch als Ort der Gemeinschaft: Gibt es Ereignisse und Begebenheiten die dir besonders im Gedächtnis sind?

Paula Weber: Ich erinnere mich gerne an die wunderbaren Feste, bei denen Gemeinschaft und Resonanz erfahrbar wurden. Ebenso die überaus aktuellen und inspirierenden Symposien. Was für eine einmalige Bereicherung! Beim Besuch des alten chinesischen Abtes erlebte ich die Begegnung der beiden „alten Weisen“ aus diesen verschiedenen Kulturen sehr berührend. Willigis präsentierte, in allem Respekt vor der alten Tradition, unsere Weise Zen zu praktizieren auf selbstverständliche und würdevolle Weise. Sehr beeindruckt hat mich, wie die Leitung und die ganze Hofgemeinschaft dem alternden Willigis einen Platz in ihrer Mitte gaben und so die Dankbarkeit für sein Wirken zum Ausdruck brachten.

Liebe Paula, wir danken Dir für dieses Gespräch und wünschen Dir alle von Herzen alles Liebe auf Deinem Weg!


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