Kunst am Hof: Interview mit Gisela Drescher
Seit den frühen 1980er Jahren war Zen-Meisterin Gisela Drescher eine Weggefährtin von Willigis Jäger. Als am Benediktushof im Dezember 2003 der Kursbetrieb startete, war sie eine Frau der ersten Stunde. Doch Gisela Drescher leitet nicht nur selbst Zen-Sesshins und künstlerische Kurse am Hof, vielmehr hat die freischaffende Künstlerin aus München mit ihren Werken das Bild des Hofes geprägt. Barbara Simon begab sich mit Gisela Drescher auf einen künstlerischen Rundgang durch die Räume sowie das Hofareal und sprach mit ihr über die Skulpturen und deren Geschichte.
Die Gäste am Benediktushof begegnen in vielen Räumen und auf dem Areal deiner Kunst:
Hast du ein persönliches Lieblingswerk?
Gisela: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Jedes Werk ist einzigartig und hat eine eigene Geschichte.
Zum Beispiel?
Gisela: Das erste Werk hier im Haus war die Spiralscheibe, die im großen Zendo hängt. Sie wurde nach dem Vorbild eines ähnlichen Werkes angefertigt, das es zuvor im Haus St. Benedikt in Würzburg gab, der langjährigen Wirkungsstätte von Willigis. In einer meiner Ausstellungen hatte Willigis die Spiralscheibe gesehen und wollte sie für den Meditationsraum haben. Nach seinem Weggang blieb sie im Haus St. Benedikt. Daher baten mich Willigis und Doris (Zölls), für den Zendo am Benediktushof eine neue Spiralscheibe zu schaffen.
Die Spiralscheibe hat Tausende von Kursteilnehmern im Zendo durch Sesshins und Retreats begleitet. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das Werk die Menschen auf einer sehr tiefen Ebene berührt. Was symbolisiert das Kunstwerk?
Gisela: Die Spirale steht für die Lebensbewegung. Die zwei Schalen sind aus Lindenholz geschnitzt und mit der Kreidegrundtechnik „gefasst“. Sie sind einander zugewendet, im Außen spiralförmig mit Gold belegt, im Innenraum von der Mitte aus strahlenförmig mit Blattsilber, die Ränder sind in Kupfer gefasst.
Gold, Silber und Kupfer verwendest du unter anderem auch für die Platten im Gewölbesaal. Welche Bedeutung haben die einzelnen Metalle?
Gisela: Ich habe bei der Energiearbeit und in der Kunst viel mit Metallen gearbeitet und habe ihre Qualitäten immer sehr geschätzt. Und schätze sie immer noch. Ein kleines Stück Gold reicht bereits, um den gesamten Raum zu beeinflussen – in einer ganz positiven Weise. Die drei Platten in Gold, Silber und Kupfer im Gewölbesaal tragen jeweils ein winziges Stück von den beiden anderen Metallen in sich. Das ist für den Betrachter nicht sichtbar, sehr wohl aber spürbar.
Für welche Qualitäten stehen die verschiedenen Metalle?
Gisela: Gold hat etwas Erhebendes, es ist die Materialisierung der Sonne in der Erde und fängt selbst den kleinsten Lichtstrahl ein und spiegelt ihn. Anhand der Rückmeldungen weiß ich aber auch, dass es für viele eine Herausforderung ist, dem Gold zu begegnen. Silber entspricht dem Mond, es hat etwas Erdendes und wir können uns darin spiegeln. In der ganzheitlichen Medizin werden mit Silber Klaustrophobie und Höhenkrankheiten behandelt.
Kupfer ist die Entsprechung der Venus, steht für Verbindung und trägt den Alltagsaspekt in sich. Früher galt das noch viel stärker als heute. Beispielsweise wurden Pfannen und Küchengeschirr aus Kupfer gefertigt, unser Kleingeld ist es bis heute. Ebenso ist unsere technisierte Welt verdrahtet mit Kupfer. Kupfer hält die Spannung, Gold gibt den Impuls schneller weiter.
Der Raum 100, der kleine Zendo, wird zentriert durch den Herzkern, auch ein Kunstwerk aus Gold, das zwischen den vier Säulen hängt. Kannst du uns anhand des Herzkerns skizzieren, wie die Idee zu einem Werk entsteht… ?
Gisela: Zu Beginn setze ich mich mit dem Kontext auseinander. Als Bildhauerin empfinde ich alles sehr räumlich, dreidimensional. Wenn ich einen Raum betrete, empfinde ich ihn innerlich. Oft sitze ich lange an Ort und Stelle und lasse es auf mich wirken. So entsteht in mir die Form, die den Raum unterstützt. Der kleine Zendo ist sehr lang und verhältnismäßig niedrig. Meinem Empfinden nach braucht er eine Streckung, etwas, das den Raum höher wirken lässt. Ursprünglich hatte ich drei Entwürfe erarbeitet, die spirituelle Leitung – damals mit Willigis, Doris und Alexander – hat sich für den Herzkern entschieden. Der Herzkern ist eine vertikale Mandorla und zeigt in alle vier Richtungen. Mandorla steht für die Mandelform, die sich aus der Überscheidung zweier Kreise ergibt. Es ist eine sehr archaische Form und spricht die Herzqualität stark an.
Das Rad der Religionen an der Klostermauer symbolisiert das transkonfessionelle Motto des Hofes. Wie entwickelt sich aus einer Idee ein Kunstwerk? Hast du das Ergebnis von Anfang an vor Augen?
Gisela: Willigis kam auf mit dem Wunsch auf mich zu: „Mach mir bitte ein Kunstwerk, bei dem die Religionen zusammenkommen“. Dann setze ich mich erstmal hin, denn beim Meditieren habe ich die besten Ideen. Plötzlich ist die Bewegung da, und ich weiß intuitiv, was wichtig ist. Beim Rad der Religionen war das der Gedanke: Aus dem Nichts entwickelt sich ein Kern, aus dem die Religionen wie Blütenblätter wachsen und um den Kern kreisen. Das lässt sich von innen nach außen betrachten, aber auch von außen nach innen. Aus dem Nichts entsteht etwas, entfaltet sich und kehrt wieder zum Nichts zurück. Während ich an dem Kunstwerk arbeite, entwickelt die Idee eine Eigendynamik, sie verfeinert sich und Details entstehen: Beispielsweise dass sich die Blütenblätter überschneiden, wodurch kleine Samen entstehen, die auf die vielen weiteren Religionen hinweisen. Wie das Werk am Schluss tatsächlich aussieht, weiß ich erstmal gar nicht.
Ein Kunstwerk von dir am Benediktushof möchte ich gerne noch ansprechen, gerade weil es so ungewöhnlich ist – die lebensgroße Christusfigur im Garten. Magst du uns zu diesem Werk etwas erzählen?
Gisela: Als Willigis mit dem Wunsch einer Christusfigur auf mich zukam, war für mich klar, dass es kein Christus am Kreuz werden kann. Schließlich hat sich für mich das Bild eines lehrenden Christus ergeben. Zunächst habe ich eine Miniatur angefertigt, die durch viele Meinungen und Diskussionen „gegangen“ ist. Das Ergebnis war die lebensgroße Christusfigur, die im Garten hinter der Rundkirche sitzt. Sie soll vor allem eine Einladung sein sich dazuzusetzen. Kinder krabbeln gerne an ihr hoch. Der Christus ist aus Bronze gegossen, ein komplexer Arbeitsprozess, der sich über mehrere Monate gezogen hat. Auch Bronze ist für mich ein interessantes Metall, weil es sich im Freien immer wieder verändert.
Du bist seit vielen Jahren Wegbegleiterin von Willigis und selbst Zen-Meisterin. Was waren für dich die Meilensteine auf diesem (gemeinsamen) Weg?
Gisela: Ursprünglich hatte ich Sport und Kunst studiert und auch mehrere Jahre unterrichtet. Aber ich wollte nicht mein ganzes Leben in der Schule sein. Also habe ich eine Ausbildung zur Bildhauerin draufgesetzt und mich selbstständig gemacht. Schließlich kam immer mehr das Bedürfnis, auch den inneren Weg zu gehen. Ich habe viele Jahre Yoga praktiziert und war auf der Suche. Ich wusste, da gibt es etwas, das mir noch mehr entspricht. Anfang der 80er Jahre hat mich eine Bekannte auf das Wirken von Willigis in Würzburg aufmerksam gemacht.
Er kam damals gerade aus Japan zurück und hat in Haus St. Benedikt ein Zentrum für Zen und Kontemplation gegründet. Ich bin Willigis begegnet und mit ihm bis zu seinem Tod den Weg gegangen. Und habe gewusst: „Das ist es einfach!“ Willigis hat den tieferen Zugang zum Sinn unseres menschlichen Daseins angesprochen. Damals war er noch viel strenger als in späteren Jahren: Er brachte die Strenge und Präzision aus Japan mit und hat uns mitgenommen.
Was macht für dich die Verbindung von Zen, beziehungsweise Spiritualität und Kunst aus? Inwiefern befruchtet das eine das andere?
Gisela: Spiritualität und Kunst sind eigentlich eins. Bei beiden bist du ganz im Augenblick und in der Präsenz. Das ist ein „Es kreiert sich durch dich!“ Kunst ist ein sehr wichtiger Faktor der Inspiration und des Ausdrucks.
Dein Kurs „Der künstlerische Mensch – Farben und Meditation“ wird im Programmheft begleitet von einem Zitat von Paul Gauguin „Ich schließe die Augen, damit ich sehe!“. Sind Meditation und Intuition Wege, um unsere – oft verschüttete – Kreativität zum Vorschein zu bringen?
Gisela: In meinen Kurs biete ich einen Raum und den Impuls, sich auszudrücken. Was dieser Impuls mit den Menschen macht, ist ganz individuell. In dem Kurs, den ich am Benediktushof gebe, drückt sich das über die Farben aus. Ich benutze in den Kursen eine sehr alte Technik, die noch vor der Ölmalerei entstanden ist, die Ei-Tempera. Die Farbpigmente werden mit Ei und Leinöl gebunden. Ich liebe diese Technik sehr, weil die Farben dadurch eine besondere Strahlkraft haben. Ich habe eine große Palette an Pigmenten, zum Teil noch von meinem Vater. Die bringe ich in die Kurse mit und jeder kann selbst auswählen, welche Pigmente angerührt werden. Das ist immer aufregend, weil sich die Farben durch das Anrühren oder die Dichte, in der sie angerührt werden, ständig verändern. Es geht dabei vor allem um die eigene innere Bewegung, die nach außen gesetzt wird. Stifte und Kreiden weisen uns den Weg, dann erst gehen wir in die flüssige Farbe. Der künstlerische Prozess wird in kleinen Schritten aufgebaut. Jeder, der mutig genug ist, kann seiner oder ihrer inneren Bewegung freien Lauf lassen.
Zur Person: Gisela Drescher ist Zen-Meisterin der Zen-Linie „Leere Wolke“ mit Sitz am Benediktushof, arbeitet als Kunsttherapeutin und Bildhauerin. Nach ihrem Lehramtsstudium für Sport und Kunst unterrichtete sie fünf Jahren in den USA sowie später in München. Danach absolvierte sie eine Ausbildung als Bildhauerin und arbeitet seit 1978 als freischaffende Künstlerin in eigener Werkstatt in München. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen hat sie zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum geschaffen, zum Beispiel eine große, zweiteilige Holzskulptur für BenePharma Chem in Geretsried, ein Totem in Haus des Kindes in Pasing sowie Werke in der Stadthalle Weilheim oder am Benediktushof in Holzkirchen. Am Hof gibt Gisela Drescher regelmäßig Zen-Sesshin sowie künstlerisch inspirierte Kurse. Mehr Infos und Kontakt auf www.gisela-drescher.de