Innen wie Außen…?
von Petra Wagner, Kontemplations-Lehrerin und Leitungsmitglied der Linie „Wolke des Nichtwissens“
„Langsam
wie eine Blume
entfaltet sich das
Andere
doch
die Füße
stehen tief
im Schmerz“
(Anneliese Vitense)
Ist es nicht dieser Spannungsbogen, in dem unser Sein und Werden als Wesen des Lebens sichtbar wird?
Wir sind in der christlichen Tradition gerade in der Fastenzeit. Eine Zeit, die das „Stirb und werde“ mit ihrem Höhepunkt, der Karwoche, tief in das Bewusstsein rufen will. Einer Zeit des Innehaltens – und, wenn ein Einlassen möglich ist, eine Zeit, in der die Kraft der Stille erfahrbar werden kann.
Fastenzeit = Verzicht… Ja, aber welcher Art?
In diesen Tagen berichten mir viele Menschen von ihrer Übung des Verzichtens. Alkohol, Süßigkeiten, weniger Fernsehen oder soziale Medien… Die Liste ist so vielfältig wie die Menschen. Mit jeder Erzählung, oft untermalt von leise mitschwingendem Stolz, wird die Frage lauter: Ist wirklich allein ein Verzicht auf Konsum, in welcher Form auch immer, gemeint? So sinnvoll das Bewusstwerden des eigenen Konsumverhaltens und vielleicht damit einhergehend eine Veränderung desselben auch ist, wenn es lediglich eine äußere Übung ist, von der die Wandlung der inneren Haltung unberührt bleibt, ruht der tiefe Sinn weiterhin im Verborgenen. Mehr noch, der Sinn wird in gewisser Weise umgekehrt.
Allein mit der Kontrolle über die sichtbare Handlung im Außen, ohne Möglichkeit dem inneren Hunger nach Leistung, Perfektion und damit verwoben, der Suche (Sucht) nach Zuneigung und Anerkennung auf den Grund zu gehen, wird sich eine Klärung des Geistes nicht einstellen. Es wird sich weiter verdunkeln, was doch in ein Werden hineinwachsen will.
Innehalten = innig das Innen halten… es im Innen mit mir aushalten.
Das Innen mit all seinen Facetten von Licht und Schatten. Der Versuch, nur nach dem Licht zu streben und den Schatten zu meiden, wird unweigerlich zu einer Verdrängung und somit Abspaltung von vermeintlich negativen Einflüssen und bisherigen Erlebnissen führen.
Abspaltung ohne Verlust von Lebendigkeit ist nicht möglich. Es ist der Umgang mit dem Schmerz, der „das Andere“ langsam, doch wahrnehmbar wie eine Blume zur Entfaltung bringt. Ein Leben ohne Krisen und Verlust, ohne Schmerz gibt es nicht – denn, wenn es dies gäbe, wäre der Schmerz die Eintönigkeit des immer wiederkehrenden Gleichmaßes, da Freude und Glück in ständiger Anwesenheit in Selbstverständlichkeit und somit Ereignislosigkeit versinken würden.
Es bleibt der Umgang mit dem Schmerz. Bleibt es ein Stehenbleiben, vielleicht sogar ein Gefangensein im Schmerz oder ist es möglich, mit den Füßen „tief im Schmerz“ weiterzugehen? Schritt für Schritt nicht nur die schmerzlichen Erfahrungen, auch die dadurch in uns entstandenen Schatten zu akzeptieren, anzunehmen und zu integrieren – das ist die Herausforderung, die es anzunehmen gilt.
Nach Innen gehen, in die „Wüste“, an den Ort, an dem die Fata Morganas der Selbsttäuschung erkannt werden können, durch das Erkennen die Illusion keine Nahrung mehr findet und durch alle Schatten hindurch die kontemplative Übung in der Stille ihre Kraft entfalten kann.
Gehen wir nach Innen, um in Klarheit und Liebe zugleich im Außen zu sein… nicht einen, nicht zwei, nicht 40 Tage. Immer wieder neu mit allen Facetten lebendig sein, ja, Leben sein:
Innen wie Außen – Innen ist Außen ist Innen…
Eure Petra