Willigis Jäger zum 100. Geburtstag

Maria Kolek Braun, Alexander Poraj und Fernand Braun, die spirituelle Leitung am Benediktushof, erinnern sich an Begegnungen und Gespräche mit Willigis Jäger (1925 bis 2020), dem Mit-Begründer des Benediktushofes. Anläßlich des 100. Geburtstags findet am 7. März am Benediktushof eine Gedenkfeier statt.

Maria Kolek Braun: „Nichts von heilig oder vermeintlich mystisch“

Willigis hat in Sprache gebracht, wie er Wirklichkeit erfahren und erkannt hat, in eine Sprache jenseits religiöser Formeln und Bilder.

Diese Sprache hat vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen, hat das ausgesprochen, was auch bei ihnen lebendig war. Willigis hat viele Menschen in eine unmittelbare, spirituelle Erfahrung geführt und begleitet. Er hatte eine intuitive, untrügliche Wahrnehmung für transpersonale Erfahrungen und hat viele Menschen ermutigt, den eigenen Erfahrungen zu trauen, die über das personale Erleben und über das konfessionell geprägte Erleben hinaus gehen.

In diesem Augenblick ist alles da

Der stärkste Impuls, die wichtigste Erkenntnis, in die Willigis mich geführt hat: zu begreifen, dass es nichts zu erreichen gibt, dass alles in diesem Augenblick da und vollkommen ist. Dass es kein anderes vermeintlich spirituelles oder mystisches Leben außerhalb unseres Alltags gibt. Nichts von heilig oder vermeintlich mystisch. Hingabe an das Geheimnis des Lebens ist der Sinn unseres Lebens.

In den Dokusans und Einzelgesprächen hat er mich immer wieder gefragt, was ich so im normalen Leben mache, wie es mit dem Beruf geht, nichts über meine Übung und Fragen zu Zen oder Kontemplation – was mich immer wieder ärgerte, bis ich es verstand: Nichts von heilig.

Ich erinnere mich an das Teetrinken mit ihm, daran wie er die Schokolade teilte – mehr nicht. Alles war da.

Ich verneige mich in großer Dankbarkeit und Verbundenheit.

Alexander Poraj„Können wir ‚es‘ wirklich und endgültig wissen?“

Es gibt viele Ereignisse und Themen an die ich mich erinnere, wenn ich mich an Willigis und unsere gemeinsame Zeit erinnere. Eines möchte ich gerade heute zu seinem 100 Geburtstag hervorheben. Es handelt sich um ein weiterhin aktuelles, als auch immer noch umstrittenes Thema, das ihm sehr am Herzen lag und das sich wie ein roter Pfad durch seine Lehrtätigkeit hindurchzieht. Mehr noch: Vielleicht war es sogar ihre Quintessenz? Willigis selber nannte es die „Transkonfessionelle Spiritualität“. In der westlichen Tradition ist es eher bekannt unter dem Namen der „Philosophia perennis“.

Was meinte Willigis damit? Er ging davon aus, dass es uns Menschen möglich sei, eine unmittelbare spirituelle Erfahrung zu machen und zwar ganz unabhängig davon, ob man sich zu einer bestimmten Religion oder anderer Weltanschauungsgruppierung zählt. Willigis meinte, die Einheitserfahrung allen Seins, die für ihn die spirituelle Erfahrung schlechthin war, sei keiner bestimmten Religion vorbehalten, sondern der Ursprung und das Ziel aller Religionen. Die Religionen, so wie wir sie auch heute noch kennen und immer noch zahlreich praktizieren, seien seiner Ansicht nach sozial durchaus wichtig, hätten aber in der Regel ihre Lebendigkeit eingebüßt, so sie nicht oder nicht mehr in diese Einsicht führten und aus ihr heraus ihre Daseinsberechtigung verstünden.

Lebenslanges Ringen um das Verständnis unserer Wirklichkeit

Dieses Verständnis der Religionen und darüber hinaus auch unserer Wirklichkeit ist und bleibt sehr verführerisch. Stimmt es, könnte es zum Beispiel die jahrhundertealte Feindschaft zwischen den so zahlreich gewordenen Weltanschauungen beenden. Wir alle könnten uns gemeinsam und aller Unterschiede zum Trotz auf eine gemeinsame Herkunft und Ziel einigen und ausrichten. Wir hätten keinen Grund mehr, uns in unversöhnliche Unterschiede und unüberbrückbare Gegensätze hinein zu behaupten. Wir wären Eins und wüssten es auch.

Warum setzt sich gerade diese alte Einsicht immer noch nicht durch? Sind wir weiterhin so stur und unbewusst? Oder aber stimmt sie doch nicht so umfassend, wie sie es vorgibt zu sein?

Auch wenn Willigis die erste Antwort bevorzugte, so gab es immer wieder Momente, in denen wir beide kurz innehielten, uns anschauten und wussten, dass wir es nicht wirklich und endgültig wissen können. Dass unsere Erfahrungen und Einsichten, wie wunderbar und bewegend sie auch sein können, immer nur „unsere“ sind und bleiben.

Im Wissen um das Geheimnis des Lebens verneige ich mich in Dankbarkeit vor Dir, Willigis.

Fernand Braun„Du bist hier, um hier zu sein“

Die erste Begegnung mit Willigis begann mit der Frage: „Warum bist du hier?“ und endete mit einer schlichten „Verneigung“.

Ich erinnere mich an den kurzen, hilflosen Moment und seine für mich „törichte“ Antwort auf die Frage „Warum bist du hier?“. Statt metaphysischer Erklärungen über den Sinn meines Daseins antwortete er schlicht und einfach: „Du bist hier, um hier zu sein!“, nahm die Handglocke – das Zeichen zum Gehen – und verneigte sich.

„Du bist hier, um hier zu sein“ und „eine schlichte Verneigung“: Diese Lektion steht seitdem wie ein „Leitstern“ über meinem kontemplativen Weg und zeigt mir die Richtung. Die nächste Korrektur bezüglich meines kontemplativen „Weges“ folgte prompt: „Es gibt keinen Weg! Das, was du suchst, ist das, was in dir sucht! Du kannst es nur hier und jetzt erfahren!“ Willigis‘ rätselhaftes Reden verstand ich nicht. Sehr viel später las ich einen Satz von Meister Eckhart: „Gott ist ein Gott der Gegenwärtigkeit“ und begann zu verstehen: Jedes Suchen führt mich nur weg.

Ohne „Warum“ und „Wohin“

Die völlige Hingabe an den gegenwärtigen Moment – ohne „Warum“ und „Wohin“! Das war und ist die Essenz meiner kontemplativen Praxis. Du bist nicht hier, um etwas zu erreichen oder einen Zustand zu erlangen. Du bist hier, weil das Hiersein an sich genug ist. Einfach nur eine Verneigung! Sie ist ebenfalls eine Geste vollkommener Hingabe – an den Augenblick, an „Gott“!

„Du bist hier, um hier zu sein“ ist die Einladung, den Moment zu akzeptieren, wie er ist, und ihn vollständig zu erleben, ohne nach einem Zweck zu suchen. Es ist ein Zustand reiner Präsenz. Die Verneigung ist eine reine Handlung und Ausdruck purer Absichtslosigkeit.

Der Verstand sucht oft nach Gründen: „Warum verneige ich mich? Warum bin ich hier?“ Doch sowohl die Verneigung als auch das Hiersein fordern auf, diese Fragen zu lassen und einfach zu sein. Wahre Tiefe und Bedeutung liegen im einfachen „Sein“. Ob du dich verneigst oder einfach nur atmest, beides ist vollständig, wenn du dich dem Moment hingibst. In dieser Haltung löst sich die Trennung zwischen Tun und Sein auf, und du erkennst: „Hiersein“ und „Verneigung“ sind eins. Es ist unmittelbare Erfahrung des Göttlichen – in jedem Augenblick!

Willigis lehrte nicht durch lange Erklärungen, sondern durch das direkte Erleben der Wahrheit im Moment. Seine Worte und Gesten waren Einladungen, sich vollkommen auf das Jetzt einzulassen. Die schlichte Verneigung, mit der unsere erste Begegnung endete, war mehr als eine formale Geste – sie war eine wortlose Antwort auf alle Fragen. Und so bleibt seine Unterweisung lebendig: In jeder Verneigung, in jedem Atemzug, in jedem bewussten Hiersein.

Spirit.Leitung 2022

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