Im Gespräch sein
von Maria Kolek Braun, Kontemplationslehrerin der Linie „Wolke des Nichtwissens“ (W. Jäger)
Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof
„Lausche hindurch, was immer du hörst. Lausche hindurch mit deines Herzens Ohr.“ Dieser Satz von Franz-Xaver Jans-Scheidegger berührt mich: Mit der Seele dabei sein, mich mit offenem Herzen dem anderen zuwenden und gleichzeitig bei mir selbst sein, bei meiner Intuition jetzt in diesem Augenblick, in dieser Begegnung. Keine Begegnung, kein Gespräch ist zufällig, sondern ist das Leben, so wie es sich ereignet zwischen mir und dem anderen. Deshalb möchte ich wach sein für alles, was gesagt und nicht gesagt wird, was mitschwingt jenseits der Worte.
In der Kontemplation geht es um die Desidentifikation mit Gedanken und Gefühlen, beziehungsweise Emotionen: Gedanken als Geplauder des Gehirns, Emotionen als Stoffwechsel des Körpers wahrzunehmen, anstatt die Wirklichkeit mit meinen Konzepten zu bewerten.
Wenn wir unsere Konzepte nicht festhalten, sondern wach sind im Augenblick, führt diese vorurteilsfreie und offene Wahrnehmung zu reiner Präsenz, zu großer Wachheit und Bewusstheit, zu Mitgefühl und Liebe aus sich selbst heraus, zu wirklicher Begegnung, unerwartet und überraschend.
Dann kann ich wahrnehmen, dass diese Frau vergangene Woche von ihrer Krebsdiagnose erfahren hat und sich freut, dass sie mich zufällig trifft und sie mit mir reden, ihre Angst und tiefe Verunsicherung zur Sprache bringen kann. Eigentlich hätte ich jetzt gar keine Zeit, weil mein Mann im Auto auf mich wartet und ich nur schnell den Brief einwerfen wollte. Schnell entscheide ich, dass ich meinen Mann jetzt warten lasse, meinen Zeitdruck an die Seite stelle und mich dieser Frau zuwende. So offen wie es mir möglich ist, um alles mitzubekommen und die richtigen Worte und Gesten mich finden zu lassen.
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“
(Meister Eckhart)
Es ereignet sich, was zwischen mir und dem anderen passiert: es geht weder um mich, noch um den anderen; es geht um den Prozess und das Geschehen in diesem Moment, in das alle Beteiligten hinein genommen sind. Manchmal „vergisst“ man sich selbst dabei, weil man ganz auf das gemeinsame Geschehen ausgerichtet ist. Ich stelle Fragen, die mir aus einem Spüren an die Oberfläche kommen, intuitiv, nicht durch Nachdenken, nicht aus Neugierde; ich spreche meinen Eindruck aus, meine Gedanken, meine Gefühle, so wie sie jetzt da sind. Sie entspringen gerade nicht meinem Denken, meinen eigenen Erfahrungen oder ähnlichen Geschichten, die ich schon mal gehört habe. Sie entspringen nicht einem Ziel, von dem ich meine, dass es meinem Gegenüber helfen oder guttun würde.
Meine Haltung ist Offenheit, Spüren und Wahrnehmen, was sich zwischen uns entwickelt. Alles darf da sein: Das Glück, das geteilt und jemandem erzählt werden möchte, die Liebe. Das Schwere, Schmerzhafte, Peinliche, die Angst, der Zweifel, das Schlimme, das einem in der Kindheit widerfahren ist, dürfen da sein. Ich lasse es so, wie es ist; beurteile und verurteile nicht. Das entlastet und macht stark, das eigene Schicksal, die eigenen Fehler, die eigene Schwäche anzunehmen.
Kontemplation heißt Hingabe an das Leben: Alles gehört dazu, es gibt nichts anderes zu erreichen, wo wir hin müssten. Kontemplation ist die Bereitschaft, den Alltag als den einzigen Ort, an dem sich das Leben vollzieht, zu begreifen. Nur hier.
„Ganz Mensch sein“ – die Trauer leben, die Ruhe leben, die Unsicherheit aushalten, das Glück und die Liebe leben, meinen Trouble mit mir selbst oder mit anderen; mich mit offenem Herzen meinen Mitmenschen, meinen Aufgaben hinzugeben.
Dieses Ja zum Leben lässt sich intuitiv auf das Hier und Jetzt ein.
Manchmal sitze ich mit einem Menschen nach einem Gespräch einfach schweigend auf einer Bank im Wald oder in einer Kirche – das, was uns verbindet, das, was sich durch ehrliche Zuwendung und Offenheit füreinander entwickelt hat, wird spürbar. Es geht über uns hinaus. Wir nehmen wahr: Da ist mehr. Da ist Gegenwart, die alles umfasst, die trägt und tröstet und die sehr lebendig ist.