„Haben wir Ostern wirklich verstanden?

von Maria Kolek Braun, Kontemplations-Lehrerin der Linie „Wolke des Nichtwissens“, Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof. Das Autorinnengespräch am Montag, 28. April bietet Raum und Option zum Austausch.

Zwischen Tod und Leben,
zwischen Dunkel und Licht,
zwischen Asche und Feuer
eine geheimnisvolle Schwelle.
Verbindend und trennend,
einladend und ängstigend,
auffordernd und herausfordernd.

Ostern ist das christliche Fest der Überschreitung von Schwellen. Das Tor zwischen Zeit und Ewigkeit offen, zwischen Tod und Leben – keine Trennung. Unser Geist setzt die Trennung, er kann nur in Gegensätzen und Unterschieden denken.

Ostern ist das christliche Fest der Überschreitung von Schwellen

Annehmen, was das Leben einem abverlangt

Erwin Egloff schrieb nach seinem erlittenen Herzinfarkt das folgende Tanka:

„Schneelast auf dem Baum.
Herz und Brust im Würgegriff.
Das Leben – dahin?
Mitten im Vernichtungsschmerz
Umfängt mich goldne Weite“

Wer von uns kennt nicht ähnliches: körperliche Schmerzen bis hin zu Todesangst, Stunden der Verzweiflung, der Angst, des Gefühls von Verlassen-Sein, in der persönlichen Lebensgeschichte und angesichts unserer so bedrohten Welt? Es verlangt uns einiges ab, in solchen Situationen sagen zu können: „Nicht meine Vorstellung vom Leben soll geschehen, sondern ich nehme das, was mir das Leben abverlangt, aus freien Stücken an.“

Oft bleiben wir in Verbitterung oder Resignation stecken. Wir richten uns im Dunklen ein, bemitleiden uns manchmal, fühlen uns als Opfer. Wir weichen dem Leiden gerne aus, wollen es vermeiden. Meistens wünschen wir uns nur ein missverstandenes Ostern: nur die Freude, nur das Leichte und Unbeschwerte.

Aber das Leben vollzieht sich mit Freude und Leiden: es vollzieht sich im Tod, in der Ungerechtigkeit, dem Krieg, im durchkreuzten Leben genauso wie in der Freude, der Begegnung, der Liebe, im Frieden und Verstehen.

Von Jesus von Nazareth wird berichtet, dass er sein Leben so bewusst bis in den Tod hinein gehen konnte, weil er ein grenzenloses Vertrauen hatte: Sein Vertrauen galt dem unendlichen Leben, das er „Gottvater“ genannt hat. In diesem Vertrauen ist das Tor zwischen Tod und Leben ist weit offen.

Das Leben war angenommen, so wie es war, brüchig und fragwürdig und voller Unheil – angenommen in einer verschwenderischen Geste der Kostbarkeit.

(Ruth Pfau)

Sterben und Leben, Dunkel und Licht – Ausdruck der einen Wirklichkeit

Ostern ist das Fest der Überschreitung von Schwellen:

Zwischen Tod und Leben, zwischen Dunkel und Licht. Ostern könnte dann heißen, dass wir uns dem ganzen Leben öffnen, denn alles ist unser Leben. Wenn wir uns ehrlich dem Schweren und Dunklen stellen, dann kann mitten im Elend der Horizont des ganzen Lebens aufgehen.

Sterben und Leben gehören zusammen, sind wie die beiden Seiten einer Münze, sie sind das EINE Leben, die EINE Wirklichkeit.

Mich berührt immer wieder der Bericht von Ruth Pfau, die als Lepra-Ärztin in Pakistan gearbeitet hat.

„Es war ein total normaler Arbeitstag, und ich war total normal an diesen Tag. Wir hatten gelacht mit den Kindern des Hauses … und die Eltern davon zu überzeugen gesucht, dass Lepra eine ganz normale Krankheit sei… Als wir hinaus traten ins Gewühl, den Gestank und den Krawall des Bazars, lag die Straße in einem goldenen zärtlichen Licht. Ich kniff die Augen zu – das Licht blieb. Golden und zärtlich. Nein, es hatte sich nichts verändert: Der alte Mann schob mühselig seinen Gemüsekarren, der Schuhputzjunge suchte nach Kunden, die Abflussrohre waren verstopft… Es war alles wie vorher, aber der zärtliche Goldglanz lag über allem, das Leben war angenommen, so wie es war, brüchig und fragwürdig und voller Unheil – angenommen in einer verschwenderischen Geste der Kostbarkeit.“

Der Goldglanz mitten im Elend und Gestank des Alltags, eine Osterfahrung, die widerfährt.

Wenn wir wach sind, erreicht uns diese Wirklichkeit, die immer die EINE Wirklichkeit, das EINE Leben ist. Oder wie es anfangs bei Erwin Egloff heißt: „Mitten im Vernichtungsschmerz umfängt mich goldne Weite“.

Das Autorinnengespräch mit Maria Kolek Braun findet am Montag, 28. April bereits um 19.00 Uhr statt – online & kostenfrei via Zoom.

Zum spirituellen Impulsbeitrag gibt es das „Autorinnengespräch“, ein Format, in dem sich interessierte Leser*innen und Kursteilnehmer*innen des Benediktushof zusammen finden, um gemeinsam mit dem Autor/der Autorin über den Impuls zu reflektieren.  Der gemeinsame Austausch kann eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung zur eigenen spirituellen Praxis sein. Der Ablauf ist dabei stets: Vortrag – Austausch in Kleingruppen – Fragen & Antworten im Plenum. Das ganze findet kostenfrei, online via Zoom statt. Anmeldung über den Button unten (gleicher Link wie beim Online-Sitzen in Stille).

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Maria Kolek Braun

katholische Dipl.-Theologin, Germanistin. Sie ist Kontemplationslehrerin der Linie "Wolke des Nichtwissens" (Willigis Jäger) und Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof. Sie lebt in der Schweiz und arbeitet nach Jahren in der Gemeindearbeit und Krankenhausseelsorge jetzt im Leitungsteam der Spital- und Klinikseelsorge im Kanton Zürich. Sie ist MBSR-Lehrerin und Vorstandsmitglied im Würzburger Forum der Kontemplation (WFdK).
 
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