„Wieso ist das so?“

von Paula Weber
Zen-Meisterin der Zen-Linie „Leere Wolke“ (W. Jäger)

Um das zweite Lebensjahr herum war das Lieblingswort meiner Enkeltochter: Wieso? Das, was Eltern im Alltag immer wieder zu nerven beginnt, konnte ich als Großmutter eher staunend betrachten. Das Spannende dabei war, dass keine erklärende Antwort sie zufriedenstellen konnte. Es ging immer weiter mit dem: Wieso?

Die Antworten, die sie darauf erhielt, schienen gar nicht wichtig zu sein und es sprang mich richtig an: Es geht nur um das Fragen. Das ließ mich innehalten und anders hören. Einmal schaute ich sie staunend an und meinte: „Einfach toll, wie du fragen kannst!“ Da lächelte sie leise – und als wenn sie zwei Zentimeter wachsen würde, war sie ganz zufrieden damit.

Kinderstaunen

In diesem Alter, in dem das, was wir Ich-Struktur nennen, noch keine feste Form hat, braucht dieses „Wieso“ keine rationale Erklärung. Es ist in sich selbst schon die Antwort und wie ein Erkennen, ein Erkennen der Welt: Ach, da ist ein So-Sein.

Ein zartes Fragen: Wie? Ich bin und das da ist auch da? Im Erkennen der Welt wird mein Dasein gespiegelt. Ich erkenne dadurch mich selbst. Welt und Dasein bedingen sich gegenseitig.

Wenn der Geist nicht unterscheidet, sind alle Dinge das eine So-Sein

                 (Shinjin-Mei)

 

In diesem Fragen: „Wieso?“ formt sich die innere Erschaffung der persönlichen Welt und damit ein Mich-Zurechtfinden darin, alles noch wie leise angeschlossen an die Erfahrung des Einsseins, aus dem heraus sich langsam dieses Gefüge „Ich“ bildet. Wieso ist da ein Außerhalb- und Anders-Sein neben mir? Gleichzeitig ist da die Anerkennung dieses Anders als Sein, ohne Bewertung, eher mit Verwunderung. Das Wunder des So-Seins schwingt noch mit in dieser Frage.

Wir Erwachsene stellen mit einem Warum und Wieso eine Tatsache in Frage, wollen die Dinge verändert oder zumindest erklärt haben, oft auch schon mit einer vorgestellten oder gewünschten Antwort im Kopf. Ein offenes Fragen schickt uns auf den Weg.

Lassen wir unser Leben ein nicht enden wollendes Fragen: „Was ist diese Wirklichkeit?“ sein – und uns dadurch die Augen öffnen!

Das ermutigt uns zu einem Schauen mit unserem ganzen Leib und all unseren Sinnen. Im Anderssein das So-Sein und mich selbst als pures Sein in der Welt erkennen, das lehrt mich meine kleine Enkeltochter.

Das bringt mich zudem in eine Gegenwärtigkeit, die den Moment nicht erklären und nicht verändern muss und damit das grundlegende Da-Sein bewusst macht und die Kostbarkeit dieser Welt. In diesem Schauen werde ich gleichsam wie selbst geschaut. Darin erkenne auch ich meinen Platz in der Welt.

Halten wir immer wieder inne beim Anblick dieser kleinen Wesen. Und wenn wir das Glück haben, sie begleiten zu dürfen – hinein in die Verwirklichung dieser, ihrer Identität – würdigen wir darin unser eigenes Geworden-Sein.

Marienstatue

Wenn unser Machen und Wollen zurücktreten darf, bringt uns dieses Fragen in ein Innehalten, in ein würdigendes Schauen auf unser eigenes So-Sein und ein achtendes auf das Mit-Sein. Daraus fließt uns die Kraft zu, uns selbst zum Ausdruck zu bringen und die Kraft, diese kleinen Wesen voll Vertrauen in und durch das Leben zu begleiten.

Hände

Dadurch ist ein Gewahrsein erfahrbar, das uns unbedingtes Sein in allem erkennen lässt, durch all unser Wissen und Empfinden hindurch.

Danke, kleines Enkelkind!

Autorinnengespräch

Der Austausch und die Reflexion zu spirituellen Themen ist eine hilfreiche Ergänzung zur eigenen Praxis. Das Autorinnengespräch mit Paula Weber fand am Di., 20.09. um 19:30 Uhr statt – online & kostenfrei via Zoom.

Paula Weber ist Zen-Meisterin der Zen-Linie „Leere Wolke“ (W. Jäger), Diplom-Sozialpädagogin, Heilpraktikerin, Praxis für integrative Therapie (FPI) u. Paartherapie, Lehrerin für Initiatisches Gebärdenspiel nach Silvia Ostertag®, www.zendo-entringen.de


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