Geduld
von Zen-Meister Alexander Poraj, Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof
„Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.“
D. Bonhoeffer
Jahrhunderte lang und kulturübergreifend genoss Geduld hohes Ansehen. Das Leben war zyklisch organisiert. Die Jahreszeiten bestimmten den Zyklus und das Leben der Menschen bis in viele Einzelheiten hinein. Die Saat brauchte ihre Zeit um aufzugehen wie auch die Früchte zum reifen. Nachrichten zu verschicken oder zu empfangen oder gar selber zu verreisen, war ebenfalls mit Zeitaufwand verbunden. An Ersatz oder Beschleunigung der bekannten Zyklen war einfach nicht zu denken. Nichtdestotrotz war bereits unter diesen, aus heutiger Sicht, sehr langsamen Prozessen die Geduld eine vielgelobte Tugend und keine Selbstverständlichkeit.
Dieser Hinweis macht bereits deutlich, dass die Ursache der Ungeduld weniger von äußeren Umständen abhängig zu sein scheint, dafür umso mehr in uns selbst gesucht werden sollte. Mehr noch: Geduld oder ihr Gegenteil haben vermutlich viel weniger mit der viel kritisierten Geschwindigkeit unseres Lebens zu tun als gemeinhin angenommen. Wann wird also aus dem Alltagsfluss ein Warten und wann gesellt sich zum Warten die berüchtigte Ungeduld? Werden wir ungeduldig, weil die Dinge nicht schnell genug passieren? Auf den ersten Blick sieht es danach aus. Halten wir aber einen Augenblick länger inne und spüren der aufkommenden Unruhe, die wir Ungeduld nennen, in uns nach, dann können wir fast immer feststellen, dass dies eine Reaktion auf die Vorstellung ist, wie es eben sein sollte und leider (noch) nicht ist. Womit wir also nicht klarkommen, ist dieser Impuls, welcher dann den Antrieb mobilisiert, auf Personen, Ereignisse und Dinge derart einzuwirken, dass sie möglichst schnell dem gewünschten, also dem vorgestellten Zustand entsprechen, um uns in ein emotional stabiles, ja sogar angenehmes Gefühl zu versetzen. Vielleicht wäre dagegen nichts einzuwenden, würden die Personen, Ereignisse und Dinge einfach „mitspielen“ und im Ergebnis ebenfalls stabile Zufriedenheit erreichen. Dem ist aber nicht so.
Die meisten Personen, aber auch andere Lebewesen, ja sogar Dinge selbst, wehren sich zum Teil heftig und erfolgreich gegen unsere offensichtliche oder subtil verdeckte Weise der Manipulation, Beanspruchung, Benutzung oder Verfügbarmachung. Bekanntlich dauert selbst eine Erkältung trotz aller eingenommenen Medikamente mindestens eine Woche und ohne diese mindestens sieben Tage. Von unserem Verhalten in der Pandemie ganz zu schweigen.
Anders gesagt: Es fällt einfach immer wieder auf, dass alle Lebewesen, Dinge und Ereignisse ihre Zeit haben und damit nicht nach Belieben von uns gebraucht und benutzt werden können und wollen. Das bedeutet, dass wir lernen müssen, mit unserer Unruhe und Instabilität umzugehen.
Das ist ein wichtiger Moment unserer Zen- oder Kontemplationsübung.
In diesem Zusammenhang fällt mir das Wort „Patient“ ein. Wir bezeichnen damit eine Person, die sich in einer medizinischen Behandlung befindet und auf Genesung wartet. Interessanterweise kommt das Wort aus dem Lateinischen und von „patientia“, was nichts anderes bedeutet als „Geduld“. Der Patient ist also der Geduldige. Noch anders beschrieben: „Patient-Sein“ ist ein Bewusstseinszustand, welcher sowohl anderen Personen, als auch den Ereignissen, ihre eigene Zeit und Geschwindigkeit zugesteht und das auch dann, wenn es uns nicht in den eigenen Kram passt.
So gesehen sollten wir öfters mal „Patient“ sein und nicht nur in der Arztpraxis. Auf jeden Fall auf dem Kissen, während der Zen- oder Kontemplationsübung.