„Die Schöne und das Biest“ –
Sprache und wie wir mit ihr umgehen
von Petra Wagner, Kontemplationslehrerin der Linie „Wolke des Nichtwissens“ (Willigis Jäger), Mitglied der spirituellen Leitung der Kontemplationslinie „Wolke des Nichtwissens“ (Willigis Jäger) – mit Videoimpuls
Wer kennt ihn nicht? Diesen einen Satz – der irgendwann in den frühen Jahren des Lebens so tief in uns hineingefallen ist, dass er noch nach Jahrzehnten immer wieder seine destruktive Macht entfaltet. Worte, gesprochen von einer – zu dieser Zeit tatsächlichen oder empfundenen – Autoritätsperson, die immer und immer wieder als Echo in uns widerhallen.
Dieser eine Satz, längst vergessen von dem Menschen, der ihn sprach, verdichtet zu einem negativen Glaubenssatz, hat das Selbstbild fest im Griff. Er beeinflusst uns dadurch oftmals, bewusst und unbewusst, nachhaltig. Die freie persönliche Entwicklung kann derart beeinträchtigt werden, dass auch innewohnende Potenziale nicht voll ausgeschöpft werden können.
In dieser unserer Zeit gibt es ein Phänomen, das uns ins Bewusstsein bringt, wie wichtig es ist, genau zu bedenken, was wir wie nach außen bringen: das Internet. Einmal ins Netz gestellt, entwickelt jede Information ein von uns unkontrollierbares Eigenleben. Jedes Wort (natürlich auch Bild) verselbstständigt sich ohne unser Zutun und ist nicht „zurückholbar“. Wir werden uns dieser Gefahr des „Für immer“ deutlicher und deutlicher bewusst. Sie mahnt zur Vorsicht. Weshalb sollte es – seit jeher – beim ausgesprochenen Wort anders sein? Gesagt ist gesagt. Es ist nicht zurückholbar. Jede Form nachfolgender Erklärung, Entschuldigung etc. hat lediglich eine vielleicht abschwächende Wirkung, vermutlich noch nicht mal das.
Wer denkt schon nach, während er spricht?
Tief in uns hinein gefallen – oder von uns gesprochen in unser Vis-a-vis – bleibt es dort… Manchmal für lange Zeit ruhend… Und wirkt und wirkt und wirkt. Und schwächt. Weshalb auch immer sind es stets die negativen Worte, die besonders tief fallen. Es bedarf eines meist langen und intensiven Prozesses, um dieser destruktiven Kraft in uns auf die Spur zu kommen und sie zu entkräften.
In diesem Zusammenhang drängt sich mir beständig eine Frage auf: Wie ist es möglich, mit diesen eigenen schmerzlichen Erfahrungen Sprache dennoch so nachlässig, zuweilen fährlässig, im alltäglichen Leben anzuwenden?
Die für mich einzig logische Erklärung: Wer denkt schon nach, während er spricht?
Das Nachdenken über die Wirkung von Sprache ist im Regelfall beruflichen Aspekten wie Vorträgen, Vorlesungen, Bewerbungsgesprächen, etc. oder herausfordernden Konfliktsituationen vorbehalten, nicht jedoch der Umgangssprache, der Sprache, wie wir miteinander umgehen. Sprechen, die aktive Anwendung von Sprache, ist, ähnlich dem Fahrradfahren, ein automatisierter Vorgang. Einmal erlernt vollzieht es sich „einfach so“ und kann ein wunderbares Medium für Verständigung, Kommunikation sein.
Sprache = Kommunikation (Verständigung) = Communio (Gemeinschaft)
Eine einfache Formel, der vielleicht die Entstehung von Sprache zugrunde liegt. Sprache als Brücke für ein Miteinander, für gelebte, unterstützende Gemeinschaft, um den Stürmen des Lebens nicht vereinzelt Stand halten zu müssen und – genauso wesentlich –, um in Nähe und Vertrauen, Momente des Berührtseins von Schönheit und Glück teilen zu können. Sprache kann das Einende hörbar und sichtbar werden lassen und in der Folge Einsamkeit in Geborgenheit wandeln.
Wenn es doch so einfach wäre… Die Realität sieht anders aus. Ungleich präsenter ist die Anwendung von Sprache als Waffe. Die eigene Meinung, der eigene Standpunkt, die eigene scheinbare Wahrheit muss deutlich werden und auch durchgesetzt werden. Jedes Wort ein Angriff, um den vermeintlichen Gegner zu schwächen und sich selbst ins vermeintliche Recht zu setzen. Das Trennende wird hervorgehoben und das Vereinzelnde betont. Sichtbar wird dadurch nur eines: das Gedankengut, die innere Haltung der so sprechenden Person.
„Jeder Mensch hat seine eigene Sprache, Sprache ist Ausdruck des Geistes.“
(Novalis)
Eine sehr einfache Wahrheit entgeht für gewöhnlich unserer Aufmerksamkeit und ist bei den meisten Menschen einfach ausgeblendet: Die Art und Weise, wie und was wir sprechen – die Anwendung und Verwendung von Sprache ist – wie ein Fingerabdruck – eine unverwechselbare persönliche Signatur.
Sie zeigt nicht nur, womit wir uns beschäftigen, was uns so sehr bewegt, dass wir es ins Wort bringen, sondern auch die Sichtweise auf die Dinge, die Menschen. Das Leben offenbart sich nackt und unverfälscht. Angewendete Sprache repräsentiert UND präsentiert die Persönlichkeit… den wirklich Zuhörenden.
Präsent sein im Zuhören
Der Gegenargumentation (ich kann sie förmlich hören), dass es durchaus möglich sei, durch Sprache ein bestimmtes Bild von sich zu inszenieren, möchte ich entgegensetzen, dass in diesem Falle die versuchte Tarnung die Persönlichkeit enttarnt. Warum die Inszenierung dennoch so oft und so gut gelingt? Fehlende Präsenz im Zuhören ist für mich des Rätsels Lösung.
Wenn es gelänge, zuhörend in einer kontemplativen inneren Haltung der Offenheit und Zugewandtheit zu sein, könnte es gelingen, mit allen unterschiedlichen Denkweisen, das menschlich Einende zu erkennen. Die Einsamkeit hinter all den Maskeraden und Worthülsen zu durchschauen und in Gemeinsamkeit zu wandeln. Sprache ist ein Geschenk – die Kostbarkeit und Schönheit der Sprache zu verkörpern und sichtbar werden zu lassen, ist unsere Aufgabe.
Eine Illusion? Nein, eine Vision… Üben wir…
Eure Petra