Wovon sprechen wir, wenn wir von Resilienz sprechen?

Das diesjährige Symposium Psychotherapie (20. bis 22. September 2024) widmet sich dem Thema „Resilienz in Spiritualität und Psychotherapie“. Zu klären wird dabei die Frage sein, welche Fähigkeit wir genau mit Resilienz bezeichnen und welche Rolle Resilienz in der Spiritualität und Psychotherapie spielt.

Der Wunsch nach mehr Resilienz motiviert aktuell viele Menschen, wenn sie für die Klärung von Lebensfragen und den Umgang mit Krisen und Zukunftsängsten Unterstützung bei spirituellen oder psychologischen Begleitern suchen. Das Symposium Psychotherapie 2024 greift dies auf. Die Vorträge, Workshops und der fachliche Austausch befassen sich mit den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft, wagen den Transfer zwischen Psychologie und Spiritualität und öffnen explizit den Raum für offene Fragen. Im Gespräch gibt die Symposiumsleitung, Dr. theol. Alexander Poraj, Zen-Meister der Linie „Leere Wolke“ und Mitglied der spirituellen Leitung, Dr. med. Matthias Lauterbach, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, und Michaela Nüssel, Diplom-Psychologin und psychologische Begleitung auf dem spirituellen Weg am Benediktushof, einen Ausblick.

Mehr Infos zum Programm und den Referenten beim Symposium Psychotherapie 2024 finden Sie hier.

Der Begriff der Resilienz hat im Kontext von Geist und Psyche in den vergangenen Jahren – auch angesichts globaler Krisen – erheblich an Popularität gewonnen. Er taucht in verschiedenen Wissenschaftsbereichen auf, unter anderem Physik, Medizin und Soziologie. Beschrieben wird eine Form von „Widerstandfähigkeit“. Wie leicht und eindeutig geht euch der Begriff aus eurer Erfahrung als spirituelle oder psychotherapeutische Begleiter*innen über die Lippen?

Symposiumsleitung

Alexander Poraj: Der Begriff „Resilienz“ wird heute auch im spirituellen Bereich stärker verwendet. Es wird wichtig sein zu untersuchen, ob damit gerade die „Widerstandfähigkeit“ des Ichs gemeint sein kann. Wenn nein, stellt sich die Frage: Wer wird gegen wen oder was „resilient“? Im Zen – als ein Beispiel für die spirituelle Praxis – geht es zunächst um einen tieferen Einblick in die Beschaffenheit der Wirklichkeit. Es wird gesehen, dass das Ich nur bedingt da ist. Es gibt damit keine Ich-Substanz oder Wesen. Davon ausgehend ist Resilienz als eine zusätzliche Ich-Eigenschaft so nicht vorstellbar. Gleichzeitig spricht man in diesen Bereichen von Gelassenheit. Ist es das gleiche? Sind Resilienz oder Gelassenheit wirklich an ein wesenhaftes Ich gekoppelt? Meiner Meinung nach sollten wir es ganz anders skizzieren.

Matthias Lauterbach: Bei inflationär gebrauchten Begriffen besteht die Tendenz, dass die Präzision ihrer Bedeutung verloren geht. Resilienz ist nicht Resistenz – also Widerstandsfähigkeit im Sinne einer „Teflon-Beschichtung“, die auch notwendig und nützlich ist. Resilienz ist ein lebenslanger Prozess des Resilienter-Werdens, des Reifens durch Bewältigung von Krisen und Herausforderungen. Dafür sind inzwischen Faktoren erforscht, die diesen Prozess ermöglichen. Diese Faktoren können in Psychotherapie und auf spirituellen Wegen unterstützt werden.

Michaela Nüssel: Aus psychologischer Perspektive bedeutet Resilienz für mich die innere Stärke und Flexibilität eines Individuums, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen und sich trotz widriger Umstände positiv zu entwickeln. Resilienz ist ein etabliertes Konzept, in dem die Erkenntnisse vielfältiger Wissenschaftsdisziplinen einfließen. Der Begriff hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Entwicklungswellen erfahren. Die letzte legt ihren Schwerpunkt vor allem auf das Wechselspiel zwischen Schutz- und Risikofaktoren, das maßgeblich über die psychische Gesundheit entscheidet.

Mit dem Untertitel „Zwischen Selbst-Aufgabe und Ich-Stärkung“ deutet ihr ein vermeintliches Spannungsfeld zwischen Spiritualität und Psychotherapie an. Mögt ihr kurz die Haltung und Methodik in der jeweiligen Praxis skizzieren? Inwieweit kann sie jeweils der Resilienz mittel- oder unmittelbar förderlich sein?

Alexander Poraj: Gibt es beispielsweise aus der Perspektive des Zen eine Selbstaufgabe? Gesetzt den Fall, dass es überhaupt nichts an sich und Getrenntes gibt, wie es beispielsweise das Herzsutra sagt, so besteht die „Resilienz“ im Erwachen und dem Leben gemäß den Umständen ohne ständige Rücksichtnahme auf das, was wir die eigene Komfortzone meinen. Das könne im Zusammenhang mit Zen als „Selbstaufgabe“ gesehen werden. Eine Ich-Stärkung würde die Fähigkeit präsent zu sein bedeuten, auch dann, wenn die Umstände nicht vorteilhaft für die eigene Komfortzone sind.

Matthias Lauterbach: Ich denke, damit ist das oft diskutierte Spannungsfeld gemeint, wieviel Ich-Struktur benötigt wird, um in der Welt zu bestehen und wann die Illusion eines Ich eher weitere Entwicklungen blockiert. Wenn wir Resilienz als einen Prozess verstehen, als lebenslange Reifung und Entwicklung, öffnen sich interessante Umsetzungsfelder. Es können konkrete Aspekte spiritueller Wege beschrieben werden, die diese Ausrichtung pflegen. Und es lassen sich leiblich-sinnlich, „irdische“ Perspektiven resilienter Entwicklungen konzipieren. Die Integration und Balance zwischen diesen Ebenen rücken in den Fokus.

„Der Begriff Resilienz hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Entwicklungswellen erfahren. Die letzte legt ihren Schwerpunkt vor allem auf das Wechselspiel zwischen Schutz- und Risikofaktoren, das maßgeblich über die psychische Gesundheit entscheidet.“

Michaela Nüssel

Wo gibt es in Bezug auf das Thema Resilienz sich befruchtende Gemeinsamkeiten von Spiritualität und Psychotherapie, wo sollten Unterschiede beachtet werden? 

Alexander Poraj: Hier kommt es drauf an, welche Schule und Richtung in beiden Fällen eingeschlagen wird. Im Zen beispielsweise wird keine Ich-Substanz angenommen. Resilienz wäre demnach ein Sich-nicht-gegen-den-Weg-des-Lebens stellen. Es ist aber genau das, was durch Traumata gezeichnete Ich-Organisation nicht immer verkörpern können. Daher ist die therapeutische Arbeit sehr wichtig, häufig unerlässlich, sonst wird die Präsenz und die Unmittelbarkeit des Zen nicht nur falsch verstanden, sondern selten möglich.

Michaela Nüssel: Resilienz teilt in vielen spirituellen und psychotherapeutischen Kontexten einige zu Grunde liegende Prinzipien, wie zum Beispiel das Erkennen und die Akzeptanz dessen, was ist oder auch die Sinnfindung, vor allem angesichts schwierig erlebter Rahmenbedingungen. Die Unterschiede liegen zum Beispiel in den Quellen der Resilienz, das heißt kommt sie aus einem über die Person hinausreichenden Zusammenhang oder ist sie Teil der persönlichen Entwicklung und kann durch psychotherapeutische Techniken erreicht werden. Auch in den angewandten Methoden, zum Beispiel spezifische Mediationspraxis versus Stressbewältigungstechnik oder emotionale Verarbeitung, und den Zielsetzungen, zum Beispiel spirituelle Entwicklung oder Einsicht versus Verbesserung der psychischen Gesundheit und Lebensqualität, unterscheiden sich Spiritualität und Psychotherapie. Diese unterschiedlichen Ansätze können sich jedoch gegenseitig bereichern und ergänzen, indem sie verschiedene Perspektiven und Werkzeuge zur Förderung der Resilienz bieten.

Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für die Begleitung? Aber auch für Praktizierende selbst – was macht das beispielsweise mit meiner Haltung und Präsenz, wenn ich mit der Erwartungshaltung „aufs Kissen“ gehe, resilienter zu werden?

Alexander Poraj: Die Begleitung sollte erkennen, wann jemand in einer Therapie besser aufgehoben ist als auf dem Meditationskissen und umgekehrt. Grundkenntnisse über Traumata usw. sollten zum Werkzeug spirituell tätiger Personen dazugehören. Denn es ist tragisch, wenn sich Personen durch falsch verstandene Übungen re-traumatisieren, was zuweilen geschehen kann.

Michaela Nüssel: Das, was Alexander formuliert kann ich nur unterstreichen. Zudem erfordert die psychologische und spirituelle Begleitung von Menschen bei der Förderung ihrer Resilienz eine feine Balance zwischen unterschiedlichen Ansätzen und Methoden. Für die Begleitenden ist es wichtig, die eigene spirituelle und psychotherapeutische Haltung geklärt zu haben, um sie auch transparent machen zu können. Zudem sollten sie eine integrative und individuelle Herangehensweise entwickeln, die sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch die jeweiligen spirituelle Praktiken berücksichtigt. Meditierende sollten realistische Erwartungen haben, Geduld mitbringen und Kontinuität pflegen. Sie sollten Selbstmitgefühl und Akzeptanz kultivieren und eine stimmige Balance zwischen Disziplin und Flexibilität finden. Auf diese Weise können beide Felder effektiv zur Entwicklung von Resilienz beitragen und sich gegenseitig bereichern.

Beim Symposium treffen Wissenschaftler und Experten aus verschiedenen spirituellen Traditionen, aus Wissenschaft und psychotherapeutischen Schulen aufeinander: Mögt ihr uns kurz die Schwerpunkte skizzieren, die in den Vorträgen und Workshops behandelt werden? 

Michaela Nüssel: Wir werden einen spannenden Bogen schlagen, vom Blickwinkel der Positiven Psychologie mit Impulsen zur Selbstwertschätzung, Selbstmitgefühl und Flourishing, den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung zu Verbindung aus Resilienz, Religion und Spiritualität bis hin zur Auseinandersetzung der unterschiedlichen spirituellen Sichtweisen zum Thema Widerstand und Hingabe. Zudem dürfen sich die Teilnehmenden auf eine konkrete Beschreibung der Arten von individueller Resilienz und ihrer praktischen Anwendungsfelder im beruflichen Alltag freuen, ebenso auf Impulse zum Ressourcenaufbau durch die Samyama Integrale Yogameditation sowie auf praktische Ansätze aus dem systemischen Gesundheitscoaching, die den Klang und die Stille als Erfahrungsräume für Resilienz betrachten. Alle Themen werden sowohl in Vorträgen als auch in vertiefenden Workshops lebendig.

Wo sind offene Felder und Fragen, für die ihr euch neue Erkenntnisse oder Fortschritte wünscht?

Alexander Poraj: Immer wieder: Mehr Klarheit im Verständnis unseres „Ich“ und aller mit diesem, uns am wichtigsten erscheinendem Phänomen. Es ist seltsam, wie wenig wir trotz Jahrtausendlanger Kultur über uns gesichert wissen.  Und seltsam ist auch, wie unterschiedlich, ja widersprechend die Thesen zu der Frage, wer wir sind und was uns guttut, immer noch auftreten.


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