Bewegung auf Frieden hin
von Fernand Braun, Kontemplationslehrer der Linie „Wolke des Nichtwissens“ (Willigis Jäger), Mitglied der spirituellen Leitung am Benediktushof
Künstler waren aufgerufen, das perfekte Bild zum Thema „Frieden“ zu malen. Am Ende des Wettbewerbs standen zwei Bilder zur Auswahl:
Das erste war ein Abbild eines ruhigen Sees. Die malerischen Berge, die den See umrandeten, jede noch so kleine Wolke am Himmel spiegelten sich im Wasser des Sees. Das Bild strahlte Ruhe und Frieden aus.
Auf dem zweiten Bild dagegen war ein zerklüfteter, dunkler und kahler Gebirgszug zu erkennen. Über dem Gebirge braute sich ein Gewitter zusammen. Es regnete, Blitze zuckten am Himmel. An einem Berg stürzte ein tosender Wasserfall in die Tiefe. Keiner kam auf die Idee, das Bild mit Frieden in Verbindung zu bringen. Schaute man genauer hin, konnte man hinter dem tosenden Wasserfall einen winzigen Busch erkennen, in dem ein Vogel sein Nest gebaut hatte. Inmitten des Unwetters, an diesem unwirtlichen Ort saß ein Muttervogel auf seinem Nest und hütete den Nachwuchs – in perfektem Frieden.
Dieses Bild gewann den Wettbewerb mit dem Kommentar:
Frieden braucht es nicht dort, wo es keine Probleme und keine Kämpfe gibt. Unter schwierigsten Umständen und größten Herausforderungen, ruhig und in Frieden im eigenen Herzen zu sein, gebiert Vertrauen!
In ähnlicher Weise schreibt Meister Eckhart in seinem Kommentar „Gott ist allzeit bereit“:
„Dass ein Mensch ein ruhiges Leben in Gott hat, das ist gut. Dass ein Mensch ein mühevolles Leben mit Geduld erträgt, das ist besser. Dass man aber Ruhe hat im mühevollen Leben, das ist das Beste…“
Der Künstler sowie Meister Eckhart sind der Überzeugung, dass Frieden inmitten des Chaos einer zerrissenen Welt möglich ist, denn:
Es gibt einen Frieden in uns, der unserem Wesen eigen ist. Diesen Frieden in uns zu erkennen und zu erfahren, das ist der Ausgangspunkt des friedvollen Weges: Wir beginnen bei uns!
In der Kontemplation sind wir zunächst daran interessiert, was auch immer sich im Bewusstseinsraum zeigt, „nur“ wahrzunehmen – ohne zu bewerten, zu vermeiden, zu verharmlosen, zu dramatisieren oder zu rechtfertigen. Das ist nicht einfach.
Wenn zum Beispiel ein Gefühl der Angst oder Ablehnung auftaucht, dann sind wir uns dessen bewusst und versuchen, es einfach sein zu lassen: Ohne etwas damit zu machen oder ihm unsere Bedeutung überzustülpen. Wir sollten nicht versuchen, ohne Angst zu leben. Das wird nicht gelingen. Im Gegenteil: Es verstärkt im Grunde nur unsere ängstliche Haltung. Ebenso mit negativen Gedanken: Wenn wir versuchen sie zu verbannen, indem wir uns auf positive konzentrieren, erreichen wir das Gegenteil. Diesem Paradoxon können wir nicht entkommen.
Jede Maßnahme, die wir ergreifen, um es zu beseitigen, verstärkt einfach den Eindruck, wir seien diese Qual, die uns leiden lässt. Es sei denn, wir haben wirklich die Möglichkeit, es zu verändern oder gar zu beseitigen. Der Versuch, dem Schmerz oder Leid zu entgehen, gibt ihnen Dauerhaftigkeit.
Was so beunruhigend ist, ist nicht das Leid an sich, sondern die Identifikation, unsere Bindung daran. Im Annehmen erinnern wir uns daran, dass jetzt nichts verkehrt ist und dass noch nie irgendetwas verkehrt war. Wir lernen auf jene Momente zu achten, in denen wir anfangen, uns zu verschließen und die Situation oder die Menschen abzulehnen. Wir sind uns unserer Angst, unserer negativen Gedanken und den mit ihnen verbundenen Gefühlen bewusst und lassen uns von der Bewusstheit führen.
„Frieden ist das Vertrauen in das Unbekannte!“
(Willigis Jäger)
Mit Fassungslosigkeit, Wut, Trauer und Unverständnis schauen wir auf jene, die anderen – aus welchen Motiven auch immer – Schmerzen zufügen oder töten.
Was passiert, wenn wir anerkennen, dass „die anderen“, obwohl verschieden, uns gleich sind als Mensch? Wenn wir jetzt nicht nur auf uns, unsere Familien schauen, auf unsere Gruppe, unseren Glauben, unsere Sprache, sondern auch auf die der anderen und anerkennen, dass die anderen ebenbürtig sind und unsere Anerkennung verdienen? Und ihnen einen Platz in unserem Herzen geben? Was passiert?
In dem Moment geben wir unsere Überlegenheit auf, vielleicht unseren Glauben an unsere Überlegenheit, und geben ihnen einen gleichwertigen Platz in unserem Herzen – wir werden dadurch reicher und menschlicher.
Wir verlieren dadurch auf gewisse Weise unsere ausschließliche Zugehörigkeit zu unserer Gruppe; wir geben etwas von unserer Sicherheit auf und wachsen. Alles, was wir ablehnen, gewinnt Kraft in uns.
Was bedeutet das mit Bezug auf Opfer und Täter?
Opfer und Täter – sie sind gleich in unserem Menschsein. Wir können anerkennen, dass die Täter vielleicht nur ihrem Gewissen gefolgt sind und sich im Gefolge ihres Gewissens als Opfer gefühlt haben. Dass sie ihre furchtbaren Taten im Grunde mit gutem Gewissen vollbracht haben.
Wenn wir dann zugleich auf all die Opfer schauen, die umgebracht wurden, wenn wir ihnen auch einen Platz in unserem Herzen geben, wenn wir am Ende die Täter und die Opfer zusammen sehen als zusammengehörig, wenn wir mit ihnen zusammen trauern um das, was geschehen ist, dann hören jede Überlegenheit und jede Angst auf.
Was würde in den Seelen der Menschen geschehen, wenn ihnen das gelänge? Und welche Botschaft ginge dadurch an alle anderen? Welche Kraft ist dann freigesetzt? Das ist der eigentliche Weg zur Versöhnung. Das ist der Weg des Friedens.
Es braucht eine große Unvoreingenommenheit und echte Bereitschaft, von allen und allem zu lernen, und Demut. Demut ist weder Überheblichkeit noch Unterwerfung. Es bedeutet „nicht zu vergleichen“ (Dag Hammarskjöld).
Wir sind in unserem Menschsein weder besser noch schlechter, weder größer noch kleiner als anderes oder andere.